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Wiener Nahostexperte: "Muslimbrüder sind in Europa stark vertreten." | Wien. Die Führung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) stehe den in vielen Ländern verbotenen Muslimbrüdern nahe: Diesen in der "Wiener Zeitung" vom palästinensischen Publizisten Ahmed Hamed formulierten Vorwurf bekräftigt nun auch der Wiener Politologe und Nahostexperte Thomas Schmidinger. Die IGGiÖ spricht hingegen von "auf reiner Spekulation beruhenden Vorwürfen".
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"In Europa hat die Muslimbruderschaft keine formalen Strukturen", erläutert Schmidinger der "Wiener Zeitung". Jedoch gebe es "Netzwerke, die ideologisch Gleichgesinnte miteinander verbinden." Auch der österreichische Verfassungsschutzbericht 2005 sagt: "Die Muslimbruderschaft ist in Österreich, wie in ganz Europa, stark vertreten. Sie verfügt im Bundesgebiet über keine deklarierte Organisation, doch finden sich ihre Anhänger in zahlreichen Moscheen, islamischen Vereinen und Organisationen." Und im aktuellen Bericht für 2006 ist die Rede von radikalen islamistischen Einzelpersonen und Gruppen mit Kontakten in den Nahen Osten.
Ahmed Hamed hat der IGGiÖ vorgeworfen, mit der Hamas den bekanntesten Zweig der Muslimbrüder zu unterstützen. In den Moscheen seien sogar Gelder für Waffenkäufe gesammelt worden. Das Innenministerium will diese Behauptungen "weder dementieren noch bestätigen". Die kritisierte IGGiÖ spricht von "Effekt heischenden absurden Anschuldigungen" und betont ihr "Bekenntnis zum österreichischen demokratischen Rechtsstaat - ausländische Konflikte dürfen nicht nach Europa importiert werden". Führende Vertreter der IGGiÖ hätten sich stets dazu bekannt, selbst vage "organisatorische, ideologische oder nationalistische Bindungen zu islamischen Ursprungsländer als Nabelschnüre zu kappen".
Die IGGiÖ bestreitet jedenfalls jegliche Nähe zum Gedankengut der Muslimbrüderschaft. Ihr Integrationsbeauftragter Omar Al Rawi bekräftigte jüngst in einem Radio-Interview, dass er mit den Muslimbrüdern nichts gemeinsam habe. Für Schmidinger zeigt sich hingegen Al Rawis Haltung in seinen Stellungnahmen: "Al Rawi bezeichnete zum Beispiel im Furche-Interview den Terror bestimmter Gruppen im Irak als legitimen Widerstand."
Problematisches Schulbuch
Einer der prominentesten Vordenker der Muslimbrüder ist laut dem deutschen Verfassungsschutzbericht 2006 der einflussreiche sunnitische Rechtsgelehrte Scheich Yusuf Al Qaradawi. In einem Freitagsgebet erklärte Qaradawi etwa im Hinblick auf palästinensische Selbstmordattentate: "Die Palästinenser haben uns sehr gute Beispiele für den Dschihad gegeben, indem sie sich selbst in die Luft sprengen."
Acht Jahre lang durfte Qaradawis Buch "Erlaubtes und Verbotenes im Islam" im Religionsunterricht an Österreichs öffentlichen Schulen verwendet werden, bis das Unterrichtsministerium problematische Passagen entdeckte: Kein weltlicher Gesetzgeber dürfe sich über das Gesetz Allahs, die Scharia, stellen, heißt es darin. Frauen hätten weniger Rechte als Männer. Wer vom Islam abfalle, werde mit dem Tod bestraft. Angesprochen auf das Buch, sagte IGGiÖ-Präsident Anas Schakfeh zur "Wiener Zeitung": "Scheich Yusuf Al Qaradawi ist ein großer Gelehrter. Er hat seine Ansichten. Wir müssen nicht alle teilen."