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Österreichs neue EuGH-Richterin: nominieren, prüfen, auslosen?

Von Tamara Ehs

Gastkommentare

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Dass die Bestellung neuer Richterinnen und Richter wesentlich auch eine politisch-weltanschauliche Frage ist, zeigt sich regelmäßig an den Reaktionen jener Parteien, die (diesmal) nicht zum Zug gekommen sind. Zuletzt war das am Verfassungsgerichtshof zu beobachten; aktuell ist die Entscheidung der Bundesregierung für Katharina Pabel als neue Richterin am Europäischen Gerichtshof umstritten. Um die Kritik nicht jedes Mal aufs Neue an einzelnen Personen entfachen zu lassen, wäre eine Reform des Auswahlmechanismus geboten. Gerade weil der EuGH nicht selten grundlegende Fragen entscheidet, die über Einzelfälle hinausgehen, und damit höchst gestaltungsmächtig ist, wäre mehr demokratische Legitimation und Transparenz nötig.

Einen ersten Schritt in diese Richtung hat der EU-Vertrag von Lissabon mit dem Artikel-255-Ausschuss getan. Sämtliche seit 2010 nominierten Richter werden von diesem aus sieben Experten bestehenden Gremium nach einem Kriterienkatalog auf ihre Eignung geprüft. Pabel muss dem 255er-Ausschuss Ende Juni in einem nicht-öffentlichen Hearing Rede und Antwort stehen, bevor sie im Oktober ihre Arbeit in Luxemburg aufnehmen kann. Der Ausschuss bewertet Berufserfahrung, juristische Expertise, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit, französische Sprachkenntnisse, die Fähigkeit, in einem internationalen Umfeld zu arbeiten, und die persönliche Eignung, Aufgaben des Richteramts wahrzunehmen. Dass der 255er nicht bloß eine Formalität ist, zeigt sich an den bisherigen Ablehnungen, etwa wegen Nepotismus, weil ein Mitgliedstaat einen nahen Verwandten des Regierungschefs nominiert hatte. In den vergangenen Jahren hat der Ausschuss mehrfach seine Rolle als Gatekeeper bewiesen; davor war es Praxis gewesen, die Kandidaten einfach durchzuwinken.

Dennoch könnte das EuGH-Bestellungsverfahren weitaus demokratischer und transparenter vonstattengehen, wie der Vergleich mit anderen Modi zeigt: So ist etwa die Auswahl der Richter für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) die wichtigste Kompetenz der parlamentarischen Versammlung des Europarats, die einen Kandidaten aus einem nationalen, nicht-gereihten Dreiervorschlag wählt. Übrigens stand Pabel schon 2015 auf Österreichs Vorschlag für den EMGR; gewählt wurde Gabriele Kucsko-Stadlmayer.

Parlamentarismus stärken

Die Unterbreitung eines Dreiervorschlags wäre auch für den EuGH vorzugswürdig, ebenso die Parlamentarisierung des Verfahrens. Bereits der sogenannte Spinelli-Bericht, ein Verfassungsentwurf für die europäische Integration aus dem Jahr 1984, sah für das EU-Parlament eine tragende Rolle bei der Richterbestellung vor. Bisher beschränkt sich der Beitrag des Parlaments auf die Entsendung einer Expertin in den 255er-Ausschuss.

Doch die Möglichkeit zur Demokratisierung der Richterauswahl setzt bereits eine Ebene früher an. Während bisher die Bundesregierung ihre EuGH-Kandidatin ohne Entscheidungstransparenz nominiert und vom Hauptausschuss des Nationalrats mit einfacher Mehrheit bestätigen lässt, könnte stattdessen der Parlamentarismus gestärkt werden, indem der Nationalrat nach einem öffentlichen Bewerberhearing mittels Zweidrittelmehrheit entscheidet. Oder man nimmt die athenische Idee der Demokratie wieder auf und lost unter geeigneten Bewerbern.

Dies fordert aktuell die schweizerische "Justizinitiative" für die Reform der Bestellung der Bundesrichter, weil nur so die politische Gleichheit gewährleistet und die Parteipolitik eingehegt werden könne. Warum bei der nächsten EuGH-Nominierung nicht einfach alle Bewerber, von denen anzunehmen ist, dass sie vor dem 255er-Ausschuss bestehen, zum Losverfahren zulassen?

Es bräuchte eine Reform des Auswahlmechanismus, mehr demokratische Legitimation und Transparenz.

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