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Österreichs Vorbild feiert 200. Geburtstag

Von Bernhard Löhri

Gastkommentare

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Die Orientierung an der Schweizer Version der immerwährenden Neutralität steht an der Wiege der kürzlich 60 Jahre alt gewordenen österreichischen Neutralität. Mit dem Verfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 bekundete Österreich aus freien Stücken seine Neutralität, doch ist die enge Verbindung mit dem Staatsvertrag vom 15. Mai 1955 und der damit verbundenen Wiederherstellung eines demokratischen und unabhängigen Österreichs offensichtlich.

Vor 200 Jahren wiederum garantierten die europäischen Großmächte im Rahmen des Wiener Kongresses mit dem Pariser Frieden vom 20. November 1815 die staatliche Unabhängigkeit einer neutralen Schweiz. Die Neutralität der Schweiz sollte "perpétuelle" (immerwährend) sein, und - die Schweiz hatte eine Armee zu gründen, um nicht wieder zum militärischen Spielball der europäischen Großmächte zu werden. Die blutigen, hauptsächlich religiös motivierten Aufstände der letzten Jahre des 18. Jahrhunderts sollten für Jahrhunderte die letzten kriegerischen Akte in der Schweiz gewesen sein, das Ende Napoleons ebnete den Weg zur heutigen Schweiz.

Der Wiener Kongress stutzte so manch übertriebene Gebietsforderung der Schweiz nach Gebietserweiterungen nach Südbaden und die Region Konstanz zurück und konditionierte die "immerwährende bewaffnete Neutralität" als Bedingung einer weiteren Existenz der Schweiz als eigenständiger Staat. Die Schweiz hat damit ihre komplexe Zusammensetzung gefunden und zeigte 1918 kein Interesse, Vorarlberg als Kanton Übrig in die Eidgenossenschaft aufzunehmen.

Orientierung und Differenzierung

Die Orientierung an der Schweizer Version der immerwährenden Neutralität hat bekanntlicherweise Österreich nicht daran gehindert, den Weg der Neutralität nach eigenem Gutdünken zu gestalten. So hat Österreich noch 1955 die Beitrittsbemühungen zur UNO aktiviert und wurde als 70. Mitglied und erster neutraler Staat aufgenommen, die Schweiz konnte sich erst 2002 zum UN-Beitritt durchringen. Die Schweiz hat ihre Neutralität beginnend mit den Möglichkeiten des 19. Jahrhunderts entwickelt und dabei immer wieder die Facetten möglichen Wirkens mit beeindruckender Brillanz angenommen. Die Formel lautete "Neutralität und Solidarität" und brachte die Schweizer Neutralität stark auf Kurs humanitäres Engagement, Menschenrechte, besonders auch im Kriege.

Die Neutralität ist zu einem wesensstiftenden Merkmal der Schweiz geworden. Enthaltsamkeit auf dem internationalen Parkett, abseits stehen dürfen von zwei Weltkriegen, die Europa in Schutt und Asche versinken ließen, und konsequente Absenz in internationalen Organisationen über lange Zeit verband die Schweiz mit pro-aktiver, diskreter Diplomatie hinter den Vorhängen.

Österreich hat sich - nach UN-Beitritt 1955 - in den 1990er Jahren zum Beitritt zur Europäischen Union entschlossen, was auch eine starke neutralitätspolitische Diskussion mit sich brachte. Für Bundeskanzler Schüssel war die Neutralität 2001 eine alte Schablone - "Lippizaner, Mozartkugeln oder Neutralität würden in der komplexen Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts nicht mehr greifen". Die österreichische Neutralität hat also nach dem Ende des Kalten Krieges eine starke Hinterfragung erfahren, manche wollten sie schon 1990 im Tabernakelschrank verräumen, für die Schweiz kann die Neutralität als nachhaltiger Bestandteil der nationalen DNA gesehen werden. Interessant und hierzulande etwas unterbelichtet wiederum sind die besonderen Schweizer Strategien der aktiven Neutralitätspolitik nach der Devise "Neutralität und Solidarität" mit starker Orientierung an Friedensfragen. Die Schweiz hat eine besondere Tradition der Diplomatie der "Guten Dienste" und der humanitären Hilfe begründet.

Lange Tradition der"Guten Dienste"

Diplomatische oder humanitäre Interventionen der Schweiz oder internationaler Organisationen, allen voran das Internationale Komitee vom Roten Kreuz oder das Zentrum für humanitären Dialog - beide in Genf -, stehen stellvertretend für die Premium-Marke diskreter Schweizer Diplomatie. Im Rahmen der "Guten Dienste" ist es vornehmlich die Schutzmacht-Funktion, also die diplomatische Briefträger-Funktion nach abgebrochenen diplomatischen Beziehungen von Staaten. Im Juli 2015 endete das Schutzmacht-Mandat der Schweiz, welches die Wahrnehmung der diplomatischen Interessen der USA in Kuba seit 1961 umfasste, mit all den heiklen Phasen der Konfliktschärfung um die Schweinebucht 1962.

Die Schweiz trat erstmals als Schutzmacht im deutsch-französischen Krieg 1870/71 auf, wo es galt, die Interessen des Königreichs Bayern und des Großherzogtums Baden in Frankreich wahrzunehmen; während des Zweiten Weltkrieges vertrat die Schweiz die Interessen von 35 Staaten mit über 200 Einzelmandaten. Im Jahre 1973 wurde mit 24 Schweizer Mandaten der Höchststand in der Nachkriegsperiode eingefahren. Die über Jahrzehnte kontinuierlich wahrgenommene Neutralitätspolitik der Schweiz stützt offenbar deren Image als verlässlicher und berechenbarer Partner in dieser Königsdisziplin der Diplomatie.

Strategische Gaststaatpolitik als Visitenkarte

Die mehr als 100-jährige Tradition der Schweiz in der Beherbergung internationaler Organisationen hat wohl jene Attraktivität entwickelt, welche zahlreiche Internationale Organisationen und mehr als 250 Nichtregierungsorganisationen veranlaßt haben, ihren Sitz in der Schweiz zu wählen. Schon 1863 wurde das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gegründet, welches vom humanitären Völkerrrecht erfasst ist. Neben Neutralität sind Unabhängigkeit, Schutz des Lebens und Würde der Opfer von Kriegen die gelebten Grundprinzipien. Die Schweiz wurde auch Depositarstaat der Genfer Konventionen, welche wichtige Komponente des humanitären Völkerrechts für den Falle eines Krieges zum Inhalt haben.

Die Schweizer Neutralität hat im Bereich der humanitären Dimension über das Internationale Rote Kreuz bzw. den Roten Halbmond und die Genfer Konventionen zweifelsfrei eine Alleinstellungsklausel in der Welt. Die Erkennbarkeit der neutralen Schweiz ist gerade dank einer Politik des diskreten Gastgebers heraus besonders erfolgreich gestaltet worden. Dass mit dem Völkerbund auch die Vorgänger-Organisation der heutigen Vereinten Nationen ihren Sitz in der neutralen Schweiz nahm, kann da nicht mehr überraschen. Die Gastgeber-Rolle der Schweiz erweist sich als integraler Bestandteil einer Neutralitätsstrategie, die auch ihre Gaststaatpolitik in ihren Dienst stellt und im Fall der Schweiz fünf Kerngebiete umfasst:

Frieden, Sicherheit und Abrüstung,

Humanitäre Angelegenheiten und Menschenrechte,

Gesundheit,

Arbeit, Wirtschaft und Wissenschaft sowie

Nachhaltigen Entwicklung und Erhaltung der natürlichen Ressourcen.

Mit diesen Clustern soll strategische Orientierung gesetzt werden und die Wahrnehmung und Erkennbarkeit der Schweiz als kompetenter neutraler Ort abgesichert werden. Gerade bei der Ansiedlung von Internationalen Organisationen gilt es, der Gefahr, zum Ort für jedes und alles zu werden, zu widerstehen und nicht zum Allerwelts-Bauchladen zu verkommen.

Die Schweiz heute -ein internationaler P(l)ayer?

Die Schweizer Regierung bemüht sich um eine aktive Mitgestaltung auf internationaler Ebene und laviert so zwischen Erwartungsdruck und Entscheid des mitwirkenden Volkes. Sowohl was bilaterale Abkommen anbelangt wie wahrgenommene Führungsmandate - wie in der OSZE - beeindruckt die neutrale Schweiz. Als OSZE-Vorsitzland 1996 und 2014 war die Schweiz als Krisenmanager am Balkan bzw. in der Ukraine gefordert und beeindruckte mit kompetenter Diplomatie, Schweizer Präzision und selbstbewusstem Auftreten des Neutralen.

Zur Person

Bernhard Löhri,

geb. 1953, absolvierte die Wirtschaftsuniversität Wien. Arbeitet in den Bereichen der Managementaus- und -weiterbildung sowie in der Organisationsentwicklung von Management und Politik - national und international. In den 1990er Jahren war er Leiter der Politischen Akademie der ÖVP.