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Die herrschende gesellschaftspolitische Unrast steht hierzulande derzeit in einem rational unergründlichen Widerspruch zur tatsächlichen wirtschaftlichen Lage der Nation. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts genießt Österreich in der Spitzengruppe der reichsten Länder der Welt den höchsten breit gestreuten Wohlstand und die vergleichsweise beste Lebensqualität aller Zeiten. Gleichzeitig erweist sich bei uns die Kluft zwischen Arm und Reich gemäß einer Einkommensanalyse der Weltbank als die kleinste unter 130 Ländern der Welt, was für eine optimal ausgewogene Einkommensverteilung spricht.
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Arbeitsmarktpolitisch nähern wir uns wieder zügig der seit 1980 verlorengegangenen Vollbeschäftigung, und hinsichtlich Preisstabilität befindet sich Österreich gleichfalls weltweit in der obersten Spitzengruppe. Die heimische Exportstärke kulminiert durch permanenten Strukturfortschritt und besonders günstiger Lohn-Stückkosten im höchsten österr. Weltmarktanteil im 20. Jahrhundert, sowie in einer seit dem EU-Beitritt dramatischen Verbesserung der Handelsbilanz. Mangels anderer ökonomischen Angriffsflächen verbleibt der tagespolitischen Wirtschaftskritik somit nur noch eine angeblich "katastrophale" Budgetsituation. Doch selbst in diesem Falle erweist sich nach verantwortungsvoller Analyse ein solcher Befund als Fehldiagnose.
Wirtschaftswachstum
Die jüngste Revision der Volkseinkommensrechnung (VGR) nach EU-Norm widerlegt eindrucksvoll die bisher unwidersprochene These von einem bloß durchschnittlichen Wirtschaftswachstum Österreichs seit 1990. Sie dokumentiert vielmehr eine überlegene wirtschaftliche Dynamik ("Überholspur") auch in den sehr schwierigen 90er-Jahren, vor allem aber seit dem EU-Beitritt, trotz (oder dank!) verschärfter Konkurrenz. Das bedeutet, dass sich die Nation "ex ante" schon seit Generationen gegenüber dem Ausland stets schwächer präsentiert als sich dann "ex post" meist Jahre später in der Endabrechnung herausstellt. Dadurch erwuchs ein sich ständig erneuender wirtschaftlicher Minderwertigkeitskomplex, der bis heute anhält und der sich nicht zuletzt in einer diskriminierenden krassen Unterbewertung der Wiener Börse niederschlägt.
Konkret gesprochen wuchs die österr. Wirtschaft in der letzten Dekade (1990 bis 2000) nicht wie bisher angenommen, um 23% (2,1% p.a.) sondern (revidiert) um 26% (2,3% p.a.) und seit 1995 (EU-Beitritt) nicht wie bisher ausgewiesen um 12% (2,3% p.a.), sondern um fast 14% (2,6% p.a.). Das bedeutet, dass Österreich seit 1990 den EU-Durchschnitt von 2,0% p.a. nicht nur genauso stark übertroffen hat wie in den dynamischen 70er und 80er-Jahren zusammengenommen, sondern auf pro-Kopf-Basis auch den OECD-Durchschnitt insgesamt. Die zuletzt angekündigte Abschwächung der Wachstumsrate von 3,3% (2000) auf 2,6% (2001) entspricht genau dem internationalen Umfeld und hat mit einer nachlassenden Wettbewerbsfähigkeit nicht das geringste zu tun. Die (laut WIFO) für 2002 erwartete Rate von 2,8% übertrifft bereits wieder den Jahresdurchschnitt seit 1995 (2,6%).
Die seit 1995 besonders effiziente Stabilisierungspolitik mit Inflationsraten von durchschnittlich 1,4% p.a. (harmonisiert: 1,1%) ist die erfolgreichste seit der Kamitz-Aera vor einem halben Jahrhundert (1952/60: 1,2% p.a.). Diese Preisperformance ist die drittbeste im OECD-Raum (hinter Japan und der Schweiz) und innerhalb der EU die allerbeste. Die Inflationsrate des Jahres 2000 von 2,4% (WIFO) bzw. 2,3% (IHS) ist durch den spekulativen Ölpreisauftrieb nach oben verzerrt und soll noch heuer auf vorzeigbare 1,5% (WIFO) bzw. 1,9% (IHS) schrumpfen.
Arbeitsmarktlage
Dank zügiger wirtschaftlicher Dynamik und der günstigsten Lohn-Stück-Kosten-Position seit fünf Jahrzehnten und trotz restriktiver Budgetpolitik nähert sich Österreich wieder zielstrebig dem seit 1980 vermissten Stadium der Vollbeschäftigung. Nach EU-Definition sank die Rate der Arbeitslosigkeit in den letzten Jahren sprunghaft von 4,5% (1998) und 3,7% (1999) auf sehr gute 3,3% im abgelaufenen Jahr und 3,1% zum Jahreswechsel. Weitere Rückgänge sind vorprogrammiert. Diese unerwartet großen Erfolge am Arbeitsmarkt werden OECD-weit nur noch von Luxemburg, Holland und der Schweiz geringfügig übertroffen. In der Bewältigung der strukturell sensibelsten Bereiche der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit ist Österreich überhaupt einsamer Spitzenreiter. Der Arbeitskräftemangel beginnt bereits spürbar die Perioden mit rückläufiger oder stagnierender Nachfrage nach Arbeit abzulösen.
Leistungsbilanz
Die passive Leistungsbilanz im Ausmaß von 2,8% (1999), 3,0% (2000) und 2,4% (2001) des BIP liegt laut WIFO zwar noch immer merklich über der Toleranzgrenze von 1%, aber sie hat innerhalb des EU-Binnenmarktes keine währungspolitische Bedeutung mehr, solange die Bilanz mit "Drittstaaten" hochaktiv ist wie bisher. Außerdem wirkt entschärfend, dass die strukturell weit aussagekräftigere Handels- und Dienstleistungsbilanz (i. e. S.) bereits gegen Null tendiert (1999: -0,5%, 2000: -0,9%, 2001: -0,2%) und bereits dem vollen Ausgleich zustrebt. Lediglich der EU-Beitrag als Nettozahler und der negative Saldo der Einkommensbilanz, sowie vor allem die im Inland reinvestierten Gewinne der "Multis" verschlechtern (nur buchmäßig) die Optik, weil alle diese Posten i.d.R. eher für als gegen die heimische Standortqualität sprechen.
Entscheidend für die strukturelle Entschärfung der Leistungsbilanz war die dramatische Verbesserung der Handelsbilanz seit dem EU-Beitritt (1995) vor seit Jahrzehnten chronischen 5% des BIP auf 2,6% (1999) und vermutlich 2,1% (2000). Die WIFO-Prognose für 2001 rechnet sogar mit einem weiteren Absturz auf 1,6%, was im Lichte des Ölpreisverfalls und der offenbar unaufhaltsamen Euro-Stärke so gut wie gesichert erscheint.
Staatsgebarung
Auch die seit jeher als dankbarer Prügelknabe unangemessen hart kritisierte öffentliche Gebarung erweist sich rückblickend in der Endabrechnung fast immer als viel robuster und gediegener als ihr Ruf. Noch vor einem Jahr wurde das Defizit des Gesamtstaates für 2000 wegen der teuren Steuer- und Familienreform mit 2,5% (des BIP) laut WIFO und mit 2,6% (lt. EU-Kommission) prognostiziert. Diese bestürzend hohen Prognosewerte mussten in der Folge schrittweise zurückgenommen werden und halten derzeit bei 1,4% (WIFO) und 1,7% (EU-Kommission). Trotz dieser scharfen Berichtigungen ist das letzte Wort aber noch immer nicht gesprochen, denn die jüngsten Daten rechnen nur mit einer minimalen Verringerung des Difizits des Bundes um 5 Mrd. Schilling (0,2% des BIP) für 2000. Tatsächlich gab es aber im bisherigen Budgetvollzug (bis November) bereits eine Verbesserung um satte 27 Mrd. Schilling (1,0% des BIP), vor allem dank der unterschätzten Eigendynamik der Wirtschaft. Selbst wenn der Dezember erfahrungsgemäß noch erfolgsmindernde buchungstechnische Anpassungen bringen sollte, scheint eine echte Budgetüberraschung unmittelbar bevorzustehen. Das bedeutet, dass der übervorsichtige Prognosewert von 1,4% in der Endabrechnung noch ganz schön abschmelzen könnte, bestensfalls bis zu einer Null vor der Komma.
Die hämische Floskel vom "Schlusslicht in Europa" und die gönnerhaften Belehrungen durch die EU-Kommission wären damit wohl endgültig zur Farce degradiert. Das ziemlich unerwartete Erfolgserlebnis für das abgelaufene Jahr ist vor allem deshalb so hoch einzuschätzen, weil es nicht nur trotz kostspieliger Steuer- und Familienreform zustande kam, sondern noch bevor die harten Sanierungsschritte voll greifen konnten. Offenbar wird der heilsame Einfluss einer starken und dynamischen Wirtschaft auf die Effizienz der Staatsgebarung schon seit jeher empfindlich unterschätzt. Die absehbare Revision für 2000 verschiebt logischerweise auch die Ausgangsbasis für die Folgejahre nach oben, sodass das geplante "Null-Defizit" nicht nur vorzeitig leicht erreichbar erscheint, sondern dass darüberhinaus sogar eine Überschuss-Position sichtbar wird.
Schlussfolgerungen
Die gleichzeitige und umfassende Verwirklichung aller klassischen Wirtschaftsziele wie überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum, optimale Preisstabilität, annähernde Vollbeschäftigung, problemlose Leistungsbilanz und ausgeglichener Staatshaushalt, ergänzt durch eine möglichst egalitäre Einkommensverteilung und gekrönt durch höchste Lebensqualität für alle war stets die Zielvorstellung der modernen Nationalökonomie und der Wirtschaftspolitik.Die gleichzeitige und konfliktfreie Realisierung aller dieser Ziele galt stets als reine Utopie. Dennoch ist zu Beginn des dritten Jahrtausends diese Utopie für Österreich in greifbare Nähe gerückt als je zuvor.
In fünf von sieben Kriterien befindet es sich weltweit in einer beneidenswerten Spitzenposition. Die Leistungsbilanz ist immerhin bereits problemlos und die endgültige Sanierung der Staatsfinanzen so gut wie perfekt. Weltweit dürfte es kaum drei Nationen geben (privilegierte Zwergstaaten ausgenommen), die in einem olympischen ökonomischen Mehrkampf Österreich einen Medaillenrang streitig machen könnten.
Prof. Dr. Anton Kausel leitete von 1956 bis 1973 die Abteilung Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung und Öffentliche Finanzen im Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO). Anschließend war er im Österreichischen Statistischen Zentralamt (ÖSTAT) tätig. Von 1981 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1984 bekleidete er das Amt des Vizepräsidenten.