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Österreichs ziemlich weiße Weste

Von Heiner Boberski

Politik

Er weint Zwentendorf keine Träne nach: Wolfgang Kromp, Leiter des Instituts für Risikoforschung der Universität Wien, Experte für Werkstoffe, hält die Fragen der Sicherheit von Reaktoren und vor allem der Endlagerung des Atommülls für bisher nicht gelöst.


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Bis zur Promotion 1970 war Kromp, Jahrgang 1942, von der Kernkraft noch durchaus angetan. Erst die Arbeit auf seinem damaligen Fachgebiet, die Entwicklung eines speziellen Werkstoffprüfverfahrens, machte Kromp nachdenklich. Schließlich bedeutete die Begegnung mit einem Abteilungsleiter im Bautenministerium den Wendepunkt in seinem Leben. Das Anpreisen der Sicherheit von Kernkraftwerken erschien ihm wie "Waschmittelpropaganda". Vor der Volksabstimmung führte er dann mit seinem Kollegen Aubauer eine Recherche durch: "Wir haben dabei einiges herausbekommen, was mich überrascht hat. Es wurde beispielsweise eine Werkstoffqualität verwendet, die man in den USA im konkreten Fall nicht hätte verwenden dürfen."

Als entscheidenden Faktor für sein eigenes Umdenken nennt Kromp den angesehenen Physikochemiker Engelbert Broda. Der trat zunächst begeistert für Zwentendorf ein, gab aber dann eine Schrift heraus, in der er vor der "Plutoniumökonomie" warnte. Kromp erinnert sich: "Broda fürchtete insbesondere die Nachfolgetechnologie der Spalttechnologie mit Uran 235 - da er wusste, dass der Vorrat an diesem spaltbaren Material nicht lange reichen würde, rechnete er damit, dass dann die allmächtig gewordene Atomindustrie in großem Maßstab die Herstellung von Plutonium 239 aus dem reichlich vorhandenen Uran 238 durchsetzen würde. und diese Technologie des ,Schnellen Brüters' ist wesentlich gefährlicher: Man hatte damals Rechnungen angestellt, wonach unter ungünstigsten Bedingungen 1 Mikrogramm dieses Materials tödlich für einen Menschen sein könnte, 1 Gramm für 1 Million, 1 Kilogramm für 1 Milliarde Menschen, wenige Kilogramm für die ganze Menschheit. Durch die Atombombentests u.a. sind sicher schon größere Mengen Plutonium in der Biosphäre unterwegs."

Für die Abgeordneten im Parlament hatte Kromp eine eigene kritische Schrift zu Zwentendorf verfasst, deren Kernaussagen er, als nicht der Nationalrat, sondern das Volk zur Abstimmung gerufen wurde, dem Magazin "profil" anvertraute, wo der Text großes Aufsehen erregte: "Es hat damals nicht viele einschlägig befasste Werkstoffwissenschaftler gegeben, und wenn, dann waren die meisten bei der Atomindustrie und konnten daher nicht so ohne weiteres Kritik nach außen tragen."

Seit damals haben sich Kromps Bedenken gegen die Kernkraft noch erhöht, nicht zuletzt aufgrund der Katastrophe von Tschernobyl vom April 1986. Erstens bestehe immer die Gefahr eines schweren Unfalls, die schwächste Stelle sei dabei der Faktor Mensch: "Gegen menschliche Unzulänglichkeit - sei es Nachlässigkeit, aber auch Bösartigkeit - kann man niemals vollständige Sicherheit erreichen." Manchmal sei diese Sicht aber unfair, natürlich könne auch die technische Ausstattung mangelhaft sein. Die Reaktortechnologie habe allzu rasch ein ungeheures Größenwachstum erreicht, der Einbezug von Sicherheiteinrichtungen sei häufig nachgehinkt. Bei Kernkraftwerken ist die nukleare Energiequelle in ein Containment (eine Sicherheitshülle aus Beton und Stahl) eingeschlossen, es gibt aber unterschiedliche Typen mit verschiedenen Sicherheitsgraden. Die in Deutschland überwiegenden Druckwasserreaktoren (jüngste Modelle: Konvoianlagen) hält Kromp für sicherer als die Druckröhrenreaktoren vom Typ Tschernobyl, die Druckwasserreaktoren der ersten Generation sowjetischer Bauart, wie sie in Österreichs Umgebung noch in Bohunice oder Koslodui in Betrieb sind, oder die Siedewasserreaktoren vom Typ Zwentendorf, von denen noch vier in Deutschland arbeiten: "Ich werde erst besser schlafen, wenn diese Kraftwerke abgeschaltet sind." Versuche der amerikanischen Sandia National Laboratories hätten gezeigt, dass man die Verlässlichkeit von Containments überschätzt hat.

Neben dem leider nicht unmöglichen Super-GAU sieht Kromp als zweites großes Problem die Endlagerung von Atommüll: "Man hat nicht wirklich eine Lösung. In Deutschland versucht man, folgende Bedingung einzuhalten: Die Strahlung sollte voraussehbar eine Million Jahre von der Biosphäre ferngehalten werden. Da denkt man jetzt an ein Versenken in bis zu mehreren Kilometern Tiefe in geologischen Formationen, die sich vielleicht 600 Millionen Jahre nicht sonderlich verändert haben."

Eine zentralistische Lösung lehnt Kromp aus moralischen Gründen ab: "Da landet es auf einem Atoll oder hinter dem Ural, bei den Schwächsten, die sich nicht wehren können." Die Festlegung auf eine Million Jahre hat u.a. mit der Halbwertszeit von Plutonium (rund 25.000 Jahre) zu tun. In einer so langen Zeit können natürlich Eiszeiten eintreten, Grundwasser könnte einsickern: "Für mich ist daher die Zugänglichkeit und Überwachbarkeit dieser Lagerstätte ein Dogma, man muss wissen, was da vorgeht."

Einen raschen weltweiten Ausstieg aus der Kernenergie erwartet Kromp nicht, obwohl sie global mit etwa 440 Kraftwerken nur einen Anteil von zwei bis vier Prozent an der Primärenergiegewinnung hat: "Unser Energiesystem gleicht laut meinem Kollegen Manfred Heindler einem Ölstrahl in ein Fass ohne Boden, Atomenergie und Alternative kommen mit Kaffeehäferln und sagen, sie tragen auch etwas bei. Das Wichtigste wäre, den Boden zu verschließen, d.h. das ungenützte Verpuffen von Energie zu vermeiden." Einzelne Länder wie Frankreich, Belgien oder Litauen könnten sicher nicht von heute auf morgen auf Kernkraft verzichten. Gegen einen raschen Ausstieg spricht, dass man mittelfristig Öl substituieren und den CO2-Ausstoß verringern will. Kromp: "Die Kernenergieindustrie bietet sich als Mittel zur Erreichung der Kyoto-Ziele an, obwohl schon allein ihr Ausbaupotential völlig unzureichend wäre."

Das Sicherheitsrisiko lege freilich einen raschen Ausstieg nahe, auch die wachsende Terror- und Kriegsgefahr.

Intensiv ist Wolfgang Kromp als Experte mit dem Kraftwerk Temelin befasst. Doch dazu meint er nur, dass zu Beginn in sieben Punkten wesentliche Einwände bestanden, welche in einem sogenannten Schwarzbuch veröffentlicht wurden (Informationen unter www.ubavie.gv.at ): "Das ist jetzt ein schwebendes Verfahren, darüber wird 2005 ein Gutachten veröffentlicht, vorher möchte ich nichts sagen."

Der Vorwurf, Österreich produziere zwar keinen Atomstrom, werde aber damit beliefert, erschüttert Kromp nicht: "Atomstrom ist nun einmal im globalisierten Netz. Wir exportieren mehr Strom als wir importieren, netto hat Österreich eine ziemlich weiße Weste."