IWF-Experten: Banken-Kernschmelze in Osteuropa hätte Österreich getroffen.|Internationale Koordination und rasche Finanzhilfe beruhigten die Lage.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Warum soll Österreich solidarisch mit Griechenland und Co. sein und sich an den Eurorettungsschirmen EFSF und ESM beteiligen? Ein triftiges Argument lautet: Österreich hat selbst massiv von einem Rettungspaket profitiert - auch wenn das der breiten Öffentlichkeit nicht bewusst ist.
Fakt ist: Am Höhepunkt der Finanzkrise 2008 und 2009 ist Osteuropa haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Und damit auch Österreich, denn die heimischen Banken sind in der Region mit insgesamt 216 Milliarden Euro (Ende 2011) engagiert.
Was ein Finanzkollaps in Osteuropa für die heimischen Banken und die gesamte Volkswirtschaft bedeutet hätte, darüber kann man heute nur spekulieren. Es wäre jedenfalls ein massiver Schlag für Österreich gewesen.
Schlimmer als Argentinien
Wie ernst die Lage war, zeigt ein neues Buch des Internationalen Währungsfonds (IWF), das am Freitag im Joint-Vienna-Institute in Wien vorgestellt wurde. Kredit- und Kapitalzuflüsse hatten das Wachstum stark befeuert. Die baltischen Staaten etwa legten um fast 8 Prozent pro Jahr zu - nur China und Indien wuchsen von 1995 bis 2007 noch schneller als Osteuropa. Die Folge: Kurz vor dem Ausbruch der Krise waren die Leistungsbilanzdefizite und die Kreditabhängigkeit der meisten osteuropäischen Staaten schlimmer als in Argentinien vor der Staatspleite von 2001. Die Finanzkrise im Herbst 2008 brachte dann eine abrupte Kehrtwende.
Bas Bakker und Christoph Klingen, die Herausgeber des Buches und Leiter der Osteuropa-Abteilung des IWF, erläutern im Gespräch mit der "Wiener Zeitung", wie ein Crash gerade noch vermieden werden konnte. Drei Faktoren hätten beigetragen, sagt Bakker: Die Regierungen in Osteuropa hätten ihre Hausaufgaben erledigt, die Banken stabilisiert und ihre Finanzlage bereinigt. Zugleich hätten die ausländischen Banken (in der sogenannten "Vienna Initiative") vereinbart, die Region nicht im Stich zu lassen. Deshalb gab es nur einen Stopp der Kapitalzuflüsse, aber keine großen Abflüsse.
Eine zentrale Rolle habe jedoch die bis dahin beispiellose internationale Unterstützung gespielt: IWF, EU und Weltbank stellten Osteuropa zwischen 2008 und 2010 mehr als 126 Milliarden US-Dollar Hilfe in Aussicht - den Löwenanteil der IWF mit 91 Milliarden. Der Hilfstopf erfüllte seinen Zweck, die Finanzmärkte zu beruhigen; das Geld musste gar nicht zur Gänze abgerufen werden, betont Christoph Klingen.
Klarerweise hätten diese Pakete Österreich geholfen, sagt Bakker: "Das Bedrohungspotenzial für österreichische Banken in der Region liegt in Summe bei ungefähr 70 Prozent der österreichischen Wirtschaftsleistung. Hätte es eine Kernschmelze in Osteuropas Bankensektor gegeben, wäre Österreich davon getroffen worden." Aufgrund der engen Verflechtung zwischen Ost und West hätten "alle Länder ein Interesse, einander zu helfen: Geht eines unter, trifft es viele andere auch."
Risiken in fremder Währung
Noch ist die Region nicht über den Berg: Das hängt maßgeblich davon ab, wie die Eurokrise verläuft - ein weiteres Argument, warum Österreich an der Stabilisierung der Währungsunion gelegen sein sollte. "Das, was in der Eurozone passiert, wird Osteuropa beeinflussen", sagt Bakker. Er konstatiert aber eine in den letzten Monaten stark verbesserte Stimmung: "Wir sind nicht aus dem Wald heraus, aber es sieht viel besser aus." In Zukunft werde Osteuropa zwar weniger stark wachsen als bisher. Die Wachstumsstory, auf die sich Österreichs Banken stets berufen, sei aber intakt, sagt Klingen.
Eine Lehre aus der Osteuropakrise ist für den IWF, die Vergabe von Fremdwährungskrediten einzudämmen. Österreichs Banken sind hier große Risiken eingegangen - sie hatten Ende 2011 in Ost- und Südosteuropa fast 84 Milliarden Euro Fremdwährungskredite bei Tochterbanken vergeben, dazu grenzüberschreitende Direktkredite von 42 Milliarden Euro.
Neue Zuflüsse gibt es nicht, aber das Problem des hohen Bestandes an vergebenen Krediten könne nur "über einen langen Zeitraum" gelöst werden. Ein rapider Wechselkursverlust der lokalen Währungen könnte potenziell zwar eine schwere Krise der Fremdwährungskredite auslösen - "aber genau das konnte vermieden werden", sagt Klingen.
Interview mit den IWF-Experten Christoph Klingen und Bas Bakker im Wortlaut