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Osttimor vor seiner ersten Wahl

Von Frank Brandmaier

Politik

Dili - Die stummen Zeugen des Horrors sind noch allgegenwärtig: Kein Straßenzug ohne schwarze Fassaden, rußige Fensterhöhlen, geborstene Einfahrtstore. Erst zwei Jahre ist es her, dass die Handlanger der indonesischen Besatzungsmacht in einer Terrororgie Osttimors lang ersehnte Freiheit zu ersticken suchten. Tausende starben dabei.


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Doch dieser Tage sind die Straßen Dilis tadellos gefegt, inmitten von Trümmern und brütender Mittagshitze grasen Ziegen. Am Donnerstag soll die erste Parlamentswahl die bettelarme Inselhälfte der Eigenständigkeit einen entscheidenden Schritt näher bringen. Die Prognosen über das Schicksal Osttimors allerdings könnten unterschiedlicher nicht sein.

Einen "Test für die politische Reife" der Bevölkerung nennt der Chef der UNO-Übergangsverwaltung (UNTAET), Sergio Vieira de Mello, die Wahl. Und dass der Streit der 16 Parteien gewaltfrei blieb, nimmt der Brasilianer als Beweis der bestandenen Prüfung. Inzwischen wisse immerhin der Großteil der rund 400.000 Wahlberechtigten, um was es geht - eine Verfassunggebende Versammlung aus 88 Mitgliedern zu bestimmen, aus der später das erste Parlament hervorgeht und die den Termin für die Präsidentenwahl 2002 festlegt.

Was die Vereinten Nationen Ende Oktober 1999 vorfanden, war nichts als Zerstörung, Leid - und eine gigantische Aufgabe. Nachdem sich die übergroße Mehrheit der Osttimoresen in einem UNO-Referendum für die Unabhängigkeit des ehemaligen portugiesischen Territoriums nach 24 Jahren Besatzung ausgesprochen hatte, legten pro-indonesische Milizen mit Hilfe des Militärs Dili in Schutt und Asche, jagten die Bevölkerung ins benachbarte Westtimor und in die Berge. Vier Jahrhunderte portugiesische Kolonialherrschaft und brutale Unterdrückung nach der völkerrechtswidrigen Annexion durch Indonesien 1976 hatten die Inselhälfte schon zuvor in Armut sinken lassen.

"Wir können hier eigentlich nicht von Wiederaufbau sprechen, weil es nichts wieder aufzubauen gab", sagt De Mello. Durch die rund 8.000 Mann starke Blauhelm-Truppe, mehr als 1.400 UNO-Polizisten und einer Tausendschaft ständigen Personals sei nicht nur die öffentliche Sicherheit wieder hergestellt, sondern auch der Aufbau von Institutionen und Verwaltung auf dem Weg. Rund 584 Millionen US-Dollar lässt sich das die UNTAET allein in diesem Jahr kosten - Geld, das nach Meinung vieler Beobachter in Dili den wirtschaftlich todkranken Patienten zumindest vorerst künstlich am Leben hält.

Vage Hoffnungen

Der ökonomische Puls regt sich dort, wohin die Millionen der internationalen Geber fließen oder Mitarbeiter von Hilfsorganisationen ihre Gehälter lassen. Cafés, Restaurants und sogar zwei Hotelschiffe im Hafen mit allnächtlichem Disco-Betrieb geben ausreichend Gelegenheit. Wer wie die meisten der rund 800.000 Osttimoresen weniger als einen US-Dollar am Tag verdient, muss eben draußen bleiben.

Schon planen die Vereinten Nationen ihren schrittweisen Rückzug im Anschluss an die Wahlen und die Verwirklichung der Unabhängigkeit Anfang nächsten Jahres. Doch von einem möglichen Kollaps des blutarmen kleinen Landes will UNTAET-Chef de Mello nichts wissen. "Wir werden nicht einfach davonlaufen", versichert er. "Wir lassen niemanden hängen." Das sehen nicht alle so. "Wenn die UNO verschwindet, endet das alles hier wie in Somalia", meint ein australischer Bankenvertreter in Dili. "Ohne die UN gibt es keine Wirtschaft." Und die Verbitterung unter westlichen Geschäftsleuten ist groß über die Weltgemeinschaft. "Die Vereinten Nationen interessieren sich nur für sich selbst", heißt es bei vielen.