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Peripherie ist Ottakring sicher nicht, der Charme der Vorstadt liegt aber gewiss noch über dem Bezirk. Die Vorstadt Neulerchenfeld vor dem Linienwall mit der damals größten Dichte an Gasthäusern. Und dann das kapitalistische Stadterweiterungsgebiet der Gründerzeit. Plötzlich Stadt. Und immer noch Stadt, seit 120 Jahren. Nicht zu vergleichen mit heutigen Peripherien, Stadträndern, wo sich Ausläufer des städtischen Wohnens mit Großgewerbe, Industrie und vor allem Konsumlandschaften zu einer undefinierbaren Masse zwischen weiten Verkehrswegen vermengen.
Auch keine Spur von Vernachlässigung. Von einem der ersten bedeutenden EU-Projekte, "Urban Wien-Gürtel plus" in den 1990er Jahren, über das große Brunnenviertel-Programm, das Kunstfestival "Soho in Ottakring" und zahlreiche kleinere Projekte bis hin zur Neugestaltung der Ottakringer Straße, reiht sich hier ein Entwicklungsprojekt an das andere. Und nicht zu vergessen die Geburtsstunde der sanften Stadterneuerung mit dem Sanierungsgebiet rund um die Wichtelgasse.
Allesamt mit viel Zuwendung und Interesse der Stadt, der EU aber auch der Öffentlichkeit sowie der internationalen Forschung und Politik. Die Gebietsbetreuung Stadterneuerung macht jährlich zahlreiche Bezirksführungen für interessierte Gruppen aus dem In- und Ausland - hier kann man Stadt verstehen lernen. Und neben der Zuwendung von außen ist auch der Innenblick immer mit dabei. Partizipation hat in Ottakring lange Tradition und versteht sich als Teil des Ganzen. Die Kommunikationskultur im Bezirk hat noch heute etwas von der Wirtshauskultur der damaligen Vorstadt: Hier wird auf Augenhöhe und ohne Vorbehalte diskutiert, und es werden viele Stimmen gehört.
Viele oft verborgene Qualitäten
Und dann kommen wieder die Zurufe von außen: Brunnenviertel und Yppenplatz, wie hipp, wie toll, aber stopp: nur keine Gentrifizierung! Und der Rest des Bezirks langweilig und grau! Nein, so einfach ist es nicht. Weder lässt sich das Brunnenviertel so simpel reduzieren noch das restliche Ottakring.
Stadt ist mehr als ja oder nein, als gut oder schlecht - es sind genau die vielen Farbtöne dazwischen, die Urbanität ausmachen. Stadt, das sind ständige vielschichtige, parallele und einander überschneidende Prozesse und Transformationen zugleich, die nie singulär sichtbar werden, sondern im Amalgam des Urbanen verschmelzen. Weil das nur schwer zu beschreiben, zu fassen und zu verstehen ist, ist die Sehnsucht nach Vereinfachung und schnellen Urteilen groß. Aber in der Stadt zu leben, bedeutet auch mehr, als Empörung zu artikulieren oder in Resignation zu versinken: Wir sind gefordert, Gelassenheit gepaart mit Interesse an den Tag zu legen.
Trauen wir uns doch ein bisschen mehr, die Stadt zu lieben, wie sie ist. Lassen wir die romantischen Ideale vom Grün und von der Ruhe doch ein bisschen in den Hinterhöfen und erlauben wir der Stadt, der Straße, ein bisschen mehr als nur Verkehr zu sein. Die Struktur der Gründerzeit hat dafür ideale Bedingungen geschaffen, die vor allem auf ihre kleinteilige Parzellenstruktur im Format des geschlossenen Wiener Blocks zurückzuführen sind. Die oft verborgenen Qualitäten gerade auch der Gebiete abseits des Brunnenviertels sind zahlreich: Es gibt leistbaren Wohnraum, eine gute Nahversorgung, intakte Gewerbebetriebe, Geschäfte und Lokale, Institutionen wie die VHS und die Hauptbibliothek, Freiraumqualitäten in den Höfen, Potenziale für zukünftige Nutzungen in der Erdgeschoßzone.
Und wieder die Probleme: Leerstand im Erdgeschoß, wie in der Neulerchenfelder Straße: Dort hat er sich etabliert und tritt in Erscheinung. Die Gründe sind kleine, oft schlecht belichtete Räume in bescheidenem Zustand, häufig überteuerte Mietvorstellungen und mangelnde Handlungsbereitschaft so mancher Eigentümer. Dieser lokale Leerstand ist kein echtes Problem für den Bezirk, auch nicht für die Nahversorgung.
Verständnis fördern
Eine Stadt braucht immer auch ihre Ecken, die weniger gut funktionieren als andere, Stadt braucht auch laute Straßen, Stadt braucht auch viele verschiedene Menschen. Dafür gibt sie uns viel zurück: Arbeitsplätze, Wohnraum, öffentlichen Verkehr, Nahversorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Zivilgesellschaft, Diskurs, Vergnügen und mehr. In Summe für immer mehr Menschen ein klares Ja zum Leben in der Stadt. Zu vermissen bleibt das dazugehörige Bekenntnis zu diesen vielen Vorteilen, für die vielleicht der eine oder andere Nachteil auch in Kauf zu nehmen ist.

Woran wir in einer stark wachsenden Stadt arbeiten müssen, ist das Verständnis zu fördern. Das Verständnis braucht auch eine mediale Berichterstattung, die über das Schwarz-Weiß-Denken hinauskommt, die sich auch einmal traut, das Unspektakuläre gut und schön zu finden, die nicht gleich für jedes Ärgernis Schuldige sucht, die die Verantwortung für jede Kleinigkeit von der Politik und der Verwaltung zurück auf die zwischenmenschliche Ebene begleitet. Stadt wird immer anziehend, aber auch immer unbequem sein. Und genau dieses Kunststück der Urbanität wird in Ottakring gelebt, bewusst gestaltet und oftmals auch gefeiert.
Zum Autor
Florian Brand ist Architekt und Mitarbeiter der Gebietsbetreuung Stadterneuerung 7/8/16.