Fundamentalismus als Geisteskrankheit. | Prominenter US-Psychiater in Wien. | Wien. Gibt es Persönlichkeitsmerkmale, die einen Menschen zwangsläufig zum Fundamentalisten werden lassen? Woher stammt das enorme Aggressionspotential, das manche Menschen dazu treibt, als Terrorist sich selbst und andere in den Tod zu reißen. Oder ganz allgemein: Ist Fundamentalismus eine Geisteskrankheit?
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Otto F. Kernberg ist Professor für Psychiatrie in New York und wird als einer der kompetentesten Spezialisten für Persönlichkeitsstörungen gehandelt. Bahnbrechend hat er auf dem Gebiet des pathologischen Narzissmus geforscht. Jetzt präsentierte der Analytiker seine Diagnose im Wiener Bruno Kreisky Forum.
Demnach ist Fundamentalismus eng gekoppelt an ein Wertesystem, das nicht verhandelbar ist, tief ins tägliche Leben reicht und das vor Verwässerung bewahrt werden muss. "Fundamentalisten trennen äußerst scharf zwischen gut und verachtenswert", so Kernberg, wobei das Gute absolut gut und das Schlechte absolut schlecht sei. Die Außenwelt werde von Fundamentalisten auf paranoide Weise als feindlich wahrgenommen, wobei der eigene Wertekanon stets der Bedrohung ausgesetzt sei, von Außen zerstört zu werden.
Terroristen, meint Kernberg, seien von Glauben beseelt, der eigenen Auslöschung durch die physische Vernichtung des Feindes zuvorkommen zu müssen, Massenmord inklusive. "Aus der Sicht des Terroristen muss die Welt von Verschmutzung befreit, zerstört, gelähmt werden, um einer besseren Welt Platz machen zu können".
Was sind nun die Ursachen des Terrorismus aus Sicht des Psychoanalytikers?
Wut auf die Welt
Laut Kernberg neigen sehr viele Menschen dazu, ihre Umwelt auf radikale Weise in eine Gut-Böse-Dichotomie aufzuspalten, "Ursache hierfür können verletzende Erfahrungen in der Kindheit sein, wobei dadurch hervorgerufenen Emotionen wie Schmerz und Wut auf die Außenwelt projiziert würden. "Viele Menschen leiden mehr oder minder unter der Angst, vom Bösen überschwemmt zu werden", so der Professor. Verunsischerung durch zerstörtes Selbstbewusstsein würde zudem dazu führen, dass sich viele Menschen fanatisch an einen bestimmten Wertekanon klammern.
Damit aus einer relativ verbreiteten psychischen Disposition Massenmord wird, bedarf es einer brisanten Mischung: "Die Köpfe von Terrororganisationen zeichnen sich so gut wie immer durch malignen Narzissmus, einer Kreuzung aus Selbstverliebtheit und Paranoia aus", weiß der Psychiater. Diese Menschen litten unter Größenwahn, und dem Zwang andere herabzusetzen sowie einer paranoiden Sicht auf die Umwelt. Innerhalb einer streng gegen die Außenwelt gerichteten Gruppe, die von Kontrolle, totaler Disziplin und Ablehnung jeder Individualität gekennzeichnet sei, könnten biologische Persönlichkeitsmerkmale, Anführerschaft, Gruppenprozesse vermischt mit sozialen Krisen und einer bestimmten Ideologie als Bombe hochgehen, die zahllosen Menschen den Tod bringen, erklärt Professor Kernberg.