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ÖVP-Alleingang bei Familienbeihilfe

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Fast 250 Millionen Euro an Familienbeihilfe flossen 2015 ins EU- oder EWR-Ausland. Die ÖVP drängt auf eine Kürzung.


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Wien. "Schluss mit dem ganzen Neuwahlgequatsche, das nützt niemandem", sagte Vizekanzler Reinhold Mitterlehner vergangenen Sonntag in der ORF-Pressestunde. Die Funktionsfähigkeit der Regierung sei gegeben. Die Beteuerungen des Vizekanzlers hindern drei ÖVP-Minister allerdings nicht, im Alleingang mit einer Forderung an den EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker heranzutreten - was beim Koalitionspartner für einige Verstimmung sorgt.

Das Anliegen der ÖVP-Minister ist nicht neu, das Thema sorgt in Österreich seit langem für emotionale Diskussionen. In einem Brief an Juncker fordern Finanzminister Hans Jörg Schelling, Familienministerin Sophie Karmasin und Außenminister Sebastian Kurz die Kommission auf, doch baldigst die Auszahlung der Familienbeihilfe an Empfänger im Ausland zu indizieren - heißt, die Auszahlung der Familienbeihilfe an im Ausland befindliche, bezugsberechtigte Personen an die dortigen Lebenserhaltungskosten anzupassen. Ein "nicht unerheblicher Teil der österreichischen Kindergeldzahlungen", so die Minister in ihrem Brief an Juncker, fließe in EU- und EWR-Staaten - und das, obwohl in einigen dieser Staaten die Unterhaltsaufwendungen zum Teil weit geringer seien als in Österreich.

Briten-Deal als Vorlage

Auf nationaler Ebene könne man die Auslandszahlungen juristisch nicht regeln, sagte Schelling am Dienstag nach dem Ministerrat. Eine europarechtliche Lösung sei gefragt. Diese, so heißt es im Minister-Brief, liege bereits seit Februar auf dem Tisch.

Damals versuchte die EU, die Briten mit einem Zuckerl von einem Pro-Brexit-Votum abzuhalten. Der Deal mit Großbritannien sah vor, dass EU-Staaten künftig nicht mehr verpflichtet sein sollten, Kindern von EU-Ausländern den vollen Familienbeihilfenersatz zu zahlen, wenn die Kinder im Herkunftsland lebten. Die für die Briten maßgeschneiderte Regelung hätte auch für alle anderen EU-Mitgliedsländer gegolten - sehr zur Freude von Kurz, der bereits im Juni 2015 mit einer Forderung nach Kürzung der Transferleistungen ins EU-Ausland aufhorchen ließ.

Der Außenminister stieß damals auf Kritik seines Parteifreundes und EU-Abgeordneten Othmar Karas. "Wenn ich gleich viel Sozialleistungen einzahle, sollte ich auch die gleiche Leistung bekommen", sagte Karas damals zur "Wiener Zeitung". Genau das lassen Schelling und Co. aber nicht gelten - schließlich, so die ÖVP-Minister, würden auch Kinderlose ins System einzahlen. Die Briten votierten pro Brexit, der Deal kam nicht zustande, nun will Schelling beim Rat der EU-Finanzminister Anfang Dezember weiter darauf drängen, die Regelung doch noch umzusetzen.

Nach Angaben der Statistik Austria wurden im vergangenen Jahr 3,4 Milliarden Euro an Familienbeihilfe für rund 1,7 Millionen Kinder ausgezahlt. Davon flossen laut Familienministerium fast 250 Millionen Euro (Familienbeihilfe inklusive Ausgleichszahlungen und Kinderabsetzbetrag) ins EU- oder EWR-Ausland. Käme die Indexierung zustande, könnte Österreich mit der gekürzten Familienbeihilfe rund 100 Millionen Euro einsparen.

Osteuropa profitiert

Etwa jeweils ein Viertel der 250 Millionen Euro entfallen auf Bezugsberechtigte in Ungarn und der Slowakei, gefolgt von Polen (15 Prozent) und Rumänien (11 Prozent). Die Auslandszahlungen bei der Familienbeihilfe stiegen dabei in den letzten drei Jahren stark an, 2013 waren es noch 192 Millionen Euro. Ist eine bezugsberechtigte Person, deren Partner in Österreich arbeitet, im Ausland nicht berufstätig, erhält sie die volle Höhe der Familienbeihilfe. Im Fall einer Berufstätigkeit erhält sie zusätzlich zur im EU-Ausland bezogenen Kinderbeihilfe eine Ausgleichszahlung auf die Höhe der österreichischen Kinderbeihilfe.

Österreich stehe mit seiner Forderung keineswegs alleine da, bemerkte Schelling am Dienstag. In der Tat dürften kleine und reichere EU-Länder stärker betroffen sein als große. Vor allem Dänemark und die Benelux-Staaten hätten ebenfalls großes Interesse am Zustandekommen der europaweiten Regelung, ist aus Kreisen der EU-Kommission zu hören.

Beim Koalitionspartner SPÖ zeigt man sich irritiert über den schwarzen Alleingang. Ein direktes Gespräch mit ihm habe es im Vorfeld nicht gegeben, sagte am Dienstag Sozialminister Alois Stöger. Guter politischer Stil sei es nicht, über Phantome zu diskutieren, schloss sich SPÖ-Klubchef Andreas Schieder an.