)
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Das Timing des Rücktritts von Michael Spindelegger ist politisch erstaunlich, aber menschlich verständlich. Am Tag, nachdem der ebenfalls umstrittene Werner Faymann seine Regierungsumbildung in der SPÖ einstimmig durchbrachte, wirft der ÖVP-Obmann und Vizekanzler zur Überraschung seiner eigenen Mannschaft das Handtuch.
Menschlich ist es verständlich, es zeigt die Brutalität des politischen Geschäftes. Vor zwei Wochen starb der Vater, Erich Spindelegger. Seine Ehefrau hat ihren EU-Job in Luxemburg wieder angetreten, seit mehr als einer Woche gibt es ein Trommelfeuer an interner Kritik aus den Ländern am Bundesparteiobmann. Um Michael Spindelegger war es einsam geworden. Er weiß jetzt, wie sich Josef Pröll Anfang April 2011 gefühlt haben muss.
Warum tust du dir diesen Job an? Diese Frage wird Spindelegger oft gehört haben in den vergangenen Tagen, angeblich am Sonntag hat er sie für sich beantwortet. Und doch: Der 55-jährige Politiker verlangte von seinen Parteifreunden ein Maß an Loyalität, die durch Kompetenz nicht balanciert wurde. Franz Fischlers Resümee, er hätte den Job gar nicht erst antreten sollen, ist gnadenlos, in der Sache aber nicht falsch. Dafür hat er entschieden, etwa die Hypo.
Auch für die ÖVP bedeutet der Rücktritt eine größere Zäsur. Mit der Wahl des Wirtschaftsbündlers Reinhold Mitterlehner zum ÖVP-Parteichef und Vizekanzler verliert der zuletzt fast allmächtige ÖAAB seine Vormachtstellung.
Die Nicht-Einigung der ÖVP, wen sie als Finanzminister nominieren wird, mag absurd erscheinen, ist aber klug. Es gilt eine Persönlichkeit für diesen Job, die nicht nur machtpolitisch, sondern vor allem sachpolitisch agiert. So eine Persönlichkeit in wenigen Stunden zu finden, wäre tatsächlich absurd. Mitterlehners erste Entscheidung als Parteichef war also weise.
Für die Regierung und die Zusammenarbeit mit der SPÖ bedeutet der Rücktritt Spindeleggers eindeutig eine Chance. Wenn sich die neue ÖVP-Führung sich etwa in der Bildungs-Politik bewegt, könnte eine große Baustelle saniert werden. Spindeleggers Nachfolger Reinhold Mitterlehner steht dafür. Seine Kritiker nennen ihn "Kompromissler" und "Sozialpartner". Beides ist richtig, als Kritik aber falsch. Mitterlehner hat das Zeug, die ÖVP zu modernisieren. Und das hat sie dringend nötig.