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In europäischen Medien wurde diese Woche viel spekuliert, welche Motive und Ziele die österreichische Bundesregierung wohl hatte, als sie, obwohl sie im Dezember vergangenen Jahres der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zugestimmt hatte, nun eine Alternative in Form einer privilegierten Partnerschaft im Verhandlungsmandat verankert haben wollte. Zahlreiche Beobachter - so auch die "Die Welt" - meinten resümierend, dass Schüssel vor allem innenpolitische Motive gehabt habe: etwa die drohenden (und tatsächlich eingetretenen) Verluste bei der Steiermark-Wahl". Dies Argument ist nicht ganz von der Hand zu weisen.
Tatsächlich habe ich mit Staunen zur Kenntnis genommen, dass Außenministerin Plassnik am 3. Oktober schließlich im Finale der Verhandlungen erklärte, es gehe gar nicht um eine privilegierte Partnerschaft. Die Regierung rechtfertigt ihr Nachgeben damit, dass der Aspekt der EU-Aufnahmefähigkeit in das Mandat aufgenommen wurde. Klingt gut, ist allerdings bereits seit 1993 fixer Bestandteil der "Kopenhagener Kriterien", die bei Erweiterungen einzuhalten sind. So hielt es der Europäische Rat im Dezember 2004 fest und auch der Entwurf des Verhandlungsmandats. Dieses ist nun von der Substanz her unverändert geblieben. Daran ändert auch die nun beschlossene etwas ausführlichere Bezugnahme auf die Aufnahmefähigkeit der EU nichts. Es rächte sich, dass es die Regierung - wie schon so oft - verabsäumte, Bündnispartner zu finden. Aufklärungswürdig scheint mir auch, in welcher Form die Intervention der USA stattgefunden hat.
Was in all dem Trubel mit der Türkei von allen Beteiligten geflissentlich verschwiegen wurde, ist die gegenwärtige Situation der EU. Die Krise, in die die EU durch die gescheiterten Verfassungs-Referenden in Frankreich und den Niederlanden schlitterte, hätte so etwas wie ein heilsamer Schock sein können. Tief Luft holen, die eigenen Ziele überdenken und nicht aus dem Blick verlieren, warum die Referenden scheiterten: Die Ablehnung des Verfassungsvertrages war Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit der europäischen Bürger mit der neoliberalen Politik und dem überhasteten Erweiterungsprozess. Eine Unzufriedenheit, die angesichts wirtschaftlicher Probleme und annähernd 20 Millionen Arbeitslosen sehr ernst genommen werden sollte. Doch die Sorgen und Ängste wurden überhört.
Genau aus diesem Grund forderte die SPÖ schon vor einem Jahr die Konsolidierung der Union vor weiteren Erweiterungsrunden. In wirtschaftlicher, politischer und vor allem auch sozialer Hinsicht ist die EU von so einer Konsolidierung weit entfernt. Das Vertrauen der Bevölkerung in das Projekt Europa zurückzugewinnen wird so nicht gelingen. Was bleibt von Schüssels Brüssel-Reise? Genau das, was die schwelende Europa-Skepsis am besten nährt: Viel Lärm um nichts.