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Der Neue verspricht, mehr auf die Basis hören.|Sebastian Kurz der heimliche Star des ÖVP-Parteitages.
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Wien. Die Bürgerlichen Wiens dort abholen, wo sie sind – das rät die Innenministerin und in der ÖVP Niederösterreich beheimatete Johanna Mikl-Leitner der ÖVP Wien in ihrer Rede beim Landesparteitag der ÖVP Wien. Und die Basis stimmt zu: "Da hat’s recht!" flüstert eine gut frisierte Dame in der vorletzten Reihe. Der Saal im Messezentrum Wien ist gesteckt voll, über 600 Delegierte lauschen der Prominenz ihrer Partei, bis sie schließlich selbst etwas zu sagen haben und ihren Parteiobmann wählen.
"Viele Menschen sind bürgerlich. Die müssen wir ansprechen"
Dieser stand freilich bereits fest; es ist der 42-jährige Manfred Juraczka, der mit 92,9 Prozent der Stimmen mit dem Ergebnis seiner Vorgängerîn Christine Marek vor zwei Jahren (96 Prozent der Stimmen) nicht mithalten kann. Juraczka kündigte an, er wolle "die Basis noch viel stärker einbinden" und merkte an: "Viele Menschen in dieser Stadt sind bügerlich. Die müssen wir ansprechen."
Juraczka wurde nach einer längeren Phase der Obmannsuche vor zwei Monaten für den Chefposten nominiert. Bis zu seiner Kür am Samstag war offiziell die Nationalratsabgeordnete Gabriele Tamandl geschäftsführende Wiener ÖVP-Chefin. Sie war nach dem Marek-Absprung in diese Funktion berufen worden, hatte aber weitere Ambitionen auf das Amt stets vehement bestritten.
Doch seine Aufgabe wird keine leichte sein: Die Wiener ÖVP steht derzeit so schlecht da wie noch nie – darin macht man sich auch parteiintern nichts vor: "Wir brauchen einen internen Reformprozess", sagt Sebastian Kurz zur "Wiener Zeitung" am Rande der Veranstaltung. Der Integrationsstaatssekretär wurde zu einem von Juraczeks Stellvertretern gewählt und fuhr mit 97,9 Prozent das beste Ergebnis des Tages ein.
Er und Gemeinderätin Ingrid Korosec (85,5 Prozent) hatten die Funktion schon bisher inne, doch es gibt auch vier Neuzugänge: Gemeinderätin Isabella Leeb (95,3 Prozent), die Bezirksvorsteherin der Josefstadt, Veronika Mickel (93,7 Prozent), der Nationalratsabgeordnete Wolfgang Gerstl (92,2 Prozent) und Wirtschaftsbund-Direktor Alexander Biach (96,5 Prozent).
Kurz war überhaupt soetwas wie der heimliche Star des Parteitages: Nahezu alle Redner am Podium lobten den Integrationsstaatssekretär, gegen den es zu Beginn auch parteiintern große Vorbehalte gab.
Ihn kenne, im Gegensatz zur Wiener Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger, "jeder", so Vizekanzler Michael Spindelegger in seiner Rede. Und auch Juraczka selbst lobt das "wahrscheinlich erfolgreichste Mitglied im Team von Michael Spindelegger" und fügt hinzu: "Sebastian Kurz hat gezeigt, dass die gern gescholtene Wiener ÖVP großartige Politiker hervorbringen kann. Danke für diese Zeugnis."
Tatsächlich scheint inzwischen auch die Basis hinter dem jungen Staatssekretär zu stehen - doch stehen sie auch hinter der schwer gerüttelten Wiener ÖVP? "Ich hab‘ nicht vor, allzu lang zu bleiben" sagt ein Anzugträger mittleren Alters in einer der letzten Reihen noch bevor die ersten Redner das Podium betreten. Mit seinen Nachbarn diskutiert er eine Änderung der Statuten, über die heute ebenfalls abgestimmt werden soll – einer der drei Herren huscht davon und erkundigt sich, um was es da genau gehe. "Der zettelt schon wieder eine Revolution an", lachen die Sitzenbleibenden.
Als Michael Spindelegger den Saal betritt, verstummen sie alle - wobei die Lautstärke, in der das klassische Streicherquartett spielt, wohl alles übertönen würde. Einzelne Parteimitglieder erheben sich, bis schließlich fast alle Delegierten im Saal aufstehen und ihrem Bundesparteiobmann applaudieren. In seinen ersten Worten begrüßt er den Europaabgeordneten Heinz Becker, der bei der Begrüßung der Moderatorin vergessen wurde. Das gibt wieder Anlass für einen Scherz aus der hinteren Reihe: "Europa vergess‘ ma immer" so die Herren der Basis.
Marek erhält Wellness-Abschied
Auch die im September 2010 als ÖVP-Obfrau zurückgetretene Christine Marek ist unter den Anwesenden. Als die geschäftsführende Parteichefin Gabriele Tamandl ihr einen Gutschein für ein Wellness-Wochenende als Abschiedsgeschenk mit den Worten: "Damit Du ein bisschen ausspannen kannst" überreicht, macht Marek gute Miene zu bösem Spiel und bedankt sich mit einem strahlenden Lächeln. Marek, die bei ihrem Abgang beklagt hatte, dass die notwendige Geschlossenheit der Partei fehle, sagt in den voll besetzten Saal hinein: "Unterstützt den Manfred Juraczka, er braucht jede Unterstützung die er kriegt. Die ÖVP wird es nur schaffen, wenn sie zusammensteht".
Die eher verhaltene Stimmung im Saal bekommt einen Anflug von Euphorie, als der neue Imagefilm der ÖVP Wien gezeigt wird, der wohl den Neustart der Partei suggerieren soll. Und so lautete auch das Thema des Parteitages "Neustart für Wien" – wenig Neues gab es jedoch bei den Themen: Freiheit, Gerechtigkeit oder Leistung sind die Schlagworte, die man an diesem Samstag wohl am öftesten hört.
Was ebenfalls nicht fehlte, waren zahlreiche Spitzen gegen die rotgrüne Stadtregierung: "Die Grünen sind wie Melonen: Außen grün, innen purpurrot", so Landwirtschaftsminister Nikolaus Berlakovich. Und auch Juraczka sagt über die "intoleranten" Grünen, sie seien "die wahren Spießbürger in dieser Stadt."
"Angstmacher FPÖ"
Die zweite Wiener Oppositionspartei, die FPÖ, beschränke sich hingegen oft auf Angstmache. Einige Vertreter würden sich zudem zu wenig von der Vergangenheit abgrenzen. Juraczka präsentierte aber auch eine bis dato eher selten geäußerte Beurteilung der blauen Politik: "Die Wiener FPÖ positioniert sich immer öfter als dritte linke Kraft." Das zeige sich etwa an den Forderungen nach Benzinpreisbindung oder nach 1500 Euro Mindestlohn.
Wienerisch präsentierte sich auch das Buffet an diesem Parteitag: Leberkäse und Würstel, das Catering entsprach der gehobenen Küche.
Und zwischen den vielen Weiß- bis Grauhaarigen befanden sich auch zahlreiche junge ÖVPler, die mit ihren Smartphones beschäftigt waren - was sich nicht zuletzt in einer aktiven Twitter-Timeline wiederspiegelte. Apropos Medien: Vielleicht könnte auch der Klingelton eines Delegierten als Motto für die Wiener Volkspartei herhalten: Vienna Calling, von Falco.