Mit kommendem Samstag ist die erste Regierung aus ÖVP und FPÖ 100 Tage im Amt. Die traditionelle Schonfrist gab es nicht - weder im In- noch im Ausland. Demonstrationen stehen noch heute auf der Tagesordnung. In einer Podiumsdiskussion zum Thema "95 Tage danach - Repolitisierung und Polarisierung. Taktik? Strategie? Eigendynamik?" in der HTL Spengergasse nahmen SPÖ-Abg. Rudolf Edlinger, FPÖ-Klubobmann Peter Westenthaler, ÖVP-Generalsekretärin Maria Rauch-Kallat, Grünen-Chef Alexander Van der Bellen sowie Christoph Hofinger vom SORA-Institut Montagabend unter anderem zu den Themen EU-Sanktionen, Zivildienst, Senkung des Wahlalters, Gesundheitssystem und Technologiemilliarde Stellung.
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Als Grundlage der Diskussion diente eine schulinterne Umfrage über die Umsetzung von Sachthemen durch die Parteien. Auch wurde die neue Koalitionspartnerschaft bewertet. (siehe untenstehenden Kasten)
Forderung nach Senkung des Wahlalters
Die Präsentation dieser Umfrage sah Hofinger als Argument für die Forderung nach einer Senkung des Wahlalters auf mindestens 16 Jahre. Es "hat noch keine Gesellschaft bereut, den Kreis der Wähler zu erweitern." Die Politiker sollten sich in ihrem eigenen Interesse um die "Internet-Generation" kümmern. Diese Generation sei die gebildetste in Österreich, so Hofinger.
Auch Van der Bellen sprach sich für eine Senkung des Wahlalters auf 16 aus - "zumindest auf kommunaler Ebene". Rauch-Kallat zeigte sich skeptisch. Es sei schwer, in jüngeren Jahren politische Begeisterung zu wecken.
77 Prozent halten EU-Sanktionen für überzogen
Einen großen Teil der Diskussion nahmen die EU-Sanktionen ein. 77 Prozent der Schüler halten diese für überzogen. Laut Van der Bellen habe die Demo am 19. Februar mehr für die Reputation Österreichs gebracht als 100 Reisen. Für den Grünen-Chef leide vor allem Außenministerin Benita Ferrero-Waldner unter den Sanktionen. Sie stehe unter "psychischem und politischem Druck".
Edlinger strich die "Leistungen" der Bundesregierung hervor. "Die Regierung hat Österreich in die internationale Isolation geführt. Das ist eine unglaubliche Leistung". Zum von ÖVP und FPÖ geforderten "nationalen Schulterschluss" gegen die Sanktionen erklärte der Ex-Finanzminister: "Wir haben kein Problem mit einem Schulterschluss. Voraussetzung dafür ist aber, dass man das Problem bearbeitet". Nach Edlingers Einschätzung sei die Regierung an einer Einstellung der EU-Sanktionen aber "gar nicht interessiert". Die Sanktionen würden von der "Umverteilung von unten nach oben im Land ablenken", kritisierte der SPÖ-Abg. u.a. die von der Regierung geplanten Gebühren- und Steuererhöhungen. Und weiter: ",learning by doing´ kommt den Österreichern sehr teuer", so Edlinger.
Arbeit der Regierung
"Politik ist wieder spannend geworden", betonte Rauch-Kallat und lobte die "rasche, projektorientierte Arbeit der Regierung". Sie sieht in der Erlassung der Sanktionen eine "Krise der EU". Denn diese hätten auch Auswirkungen auf die EU-Erweiterung. Niemand habe Interesse an einer Beibehaltung dieser Sanktionen. Prinzipiell sei die Politik, so Rauch-Kallat, "schneller, offener, ehrlicher geworden". In diesem Zusammenhang wies sie auf die Arbeit der Regierung in Sachen Aktion Fairness, NS-Zwangsarbeiterentschädigung und Budgeterstellung hin. Westenthaler führte außerdem das Demokratiepaket, Familienpaket, die Lohnsteuersenkung, das Paket für ältere Arbeitnehmer, das Pensionspaket und die Strom- und Gaspreissenkung an. Der FPÖ-Klubobmann nannte diese Themen "ein paar Schlaglichter, die wir trotz schwieriger Situation in Angriff genommen haben".
Zivildienst-Novelle
Einer der Konfliktpunkte zwischen Koalition und Opposition war zuletzt auch die Zivildienst-Novelle. Van der Bellen kritisierte, dass diese dazu führe, "den Militärdienst attraktiver zu machen".
Die Regierungsvertreter waren einer Meinung: Die Novelle war eine "Notwendigkeit", um das Budget einhalten zu können. Eine Reduzierung der Zahl der Zivildiener würde reguläre Arbeitsplätze schaffen, betonte Rauch-Kallat. Zivildiener sollten lediglich ehrenamtliche Tätigkeiten ersetzen.
Kritik übte Van der Bellen auch am Stil der Auseinandersetzung seitens der Regierungsparteien - dieser sei "FPÖ-dominierend" und laufe nach dem Motto: "Ich habe es nicht mit einem politischen Gegner zu tun, sondern mit einem Feind". Die Inhalte würden jedoch von der ÖVP kommen, so der Grünen-Chef.
Technologiemilliarde
"Damit wird es nicht getan sein", stellte ein Schüler in Bezug auf die Technologiemilliarde fest. "Das kostet einfach Geld", betonte auch Van der Bellen, der kritisierte, dass es diese auch bei der alten Regierung nie gab.
Rauch-Kallat bezeichnete die Technologiemilliarde als "schönes Schlagwort" - diese sei zusätzliches Geld mit dem Rahmenbedingungen geschaffen werden sollen. Ein wichtiger Faktor sei dabei auch die Ausbildung der Lehrer.
Den meisten Zuspruch unter den Schülerinnen und Schülern erhielt Van der Bellen - unter anderem auch deshalb: "Prof. Van der Bellen hat mir bei der Begrüßung als einziger in die Augen geschaut", betonte der Maturaanwärter Thomas Werth bei der Eröffnung der Veranstaltung.