Ist das griechische Referendum Aktivismus, Aufruf zum Widerstand oder ein notwendiger Schritt zur Einigung?
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Man hat die Tendenz, politische Auseinandersetzungen nach dem Modus von Fußballspielen zu denken: Zwei Mannschaften treten gegeneinander an und kämpfen um den Sieg. Der akute Fall Griechenland zeigt, wie grundfalsch diese Annahme ist. Man teilt nicht einmal das Feld. Die Auseinandersetzung geht vielmehr darum: Was ist überhaupt das Feld der Konfrontation? Und wer bestimmt es? Im Fall von Griechenland zeigt sich das daran, dass alles doppelt gelesen werden kann.
Was ist der Status des morgigen Referendums: Ist es eine Grundsatzentscheidung oder purer Aktivismus? Abstimmung oder Einstimmung? Frage oder Akklamation? Ist das Referendum ein notwendiger Schritt für eine bessere Einigung mit den Gläubigern oder unterläuft es diese Verhandlungen? Ist es Rückgewinnung der Handlungsmacht oder Säbelrasseln? Taktik oder Strudeln? Strategie oder Zickzackkurs? "Lästiges Mätzchen" (Schäuble) oder Aufruf zum Widerstand? Inszenieren die Griechen Demokratie oder Populismus? Genauso weit driften auch die Einschätzungen der Handelnden auseinander. Sind Tsipras und Co. pubertierende Trotzköpfe (denen IWF Chefin Lagarde das Erwachsenwerden empfiehlt) oder Widerstandskämpfer? Chaoten oder Helden? Mutig oder stur? Absurd oder realistisch? Chaotisch oder links? Und wo sitzt heute die Vernunft? In den europäischen Etagen der Erwachsenenwelt - mit ihrer gescheiterten Austeritätspolitik? Oder bei den trotzigen Linken mit ihren "ärgerlichen Volten" (Schulz)?
Und was heißt nun links? Da gibt es etwa den Einwand der deutschen Grünen, Syriza hätte bislang gar keine linke Politik gemacht, zu welcher die Senkung der Rüstungsausgaben, die Erhöhung der Reichensteuer und das Ende der Kirchenprivilegien gehören würden. (Wobei offen bleibt, ob solche einschneidenden Veränderungen ohne Zwei-Drittel-Mehrheit im Parlament überhaupt möglich sind.) Und es stellt sich die Frage: Heißt links jetzt national? Je linker desto nationaler? War das nicht mal anders rum? Gab es nicht die Vorstellung einer EU als Erbin des alten Sozialstaates? Bevor EU gleich Austeritätspolitik wurde. Bevor EU Marktpolitik bedeutete.
Alle Antworten auf all diese Fragen richten sich je nach Position. Sie sind also politisch. Im Fall Griechenland treffen aber nicht nur zwei politische Ideologien aufeinander, nicht nur zwei Generationen (wie oft bemerkt) - hier treffen auch zwei Formen des Konflikts, ja mehr noch: zwei historische Zeiten aufeinander.
Hier treten alte Demokratie und neue Postdemokratie gegeneinander an. Geschichte gegen Posthistoire. Es
ist ein alter Kampf gegen ein neues System. Kein Wunder, dass sie sich nicht auf das Feld der Konfrontation einigen können. Hier wird um das Feld der Auseinandersetzung gerungen: Ist es die Ökonomie oder ist
es die Politik? Ist Syriza nicht angetreten, um eine grundsätzliche Diskussion über die Ordnung des Euroraumes zu beginnen? Um also ökonomisches Vorgehen in politische Fragen zu übersetzen? Ist diese Übersetzung gescheitert? Und ist das Referendum der - hilflose oder strategische - Versuch, die Übersetzung doch noch einzuholen? Die Wirrnisse der letzten Wochen, die vielen Fragen, die Komplexität der Situation werden im Referendum auf eine Eindeutigkeit hin zugespitzt: Nein oder ja. Oxi oder nai.