Das Buch "Türkenbelagerung" beleuchtet die Probleme der türkischen Community. | Wien. Das Verhältnis der beiden Nationalitäten Österreich-Türkei kann getrost als eine über Jahrhunderte tradierte Hassliebe bezeichnet werden. Im Laufe der Geschichte versuchten die Osmanen zwei Mal, die Stadt Wien als letzten Brückenkopf zum westlichen Europa einzunehmen. Beide Male scheiterten die Belagerer. Diese Geschehnisse und damit verbundene Legenden haben auf österreichischer Seite ein klischeebehaftetes Bild der Türken eingebrannt, das bis zum heutigen Tag existiert und nur schwer umzupolen ist. So scheint es zumindest bei oberflächlicher Betrachtung.
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Auf der einen Seite stehen die kriegerischen Auseinandersetzungen und politischen Konflikte mit der Türkei, auf der anderen Seite das Bündnis im Ersten Weltkrieg und die gemeinsame Niederlage, die Gastfreundschaft, der für Wien so bedeutende Kaffee und die orientalischen Genüsse, die nun auf vielen Märkten angeboten werden. Die Journalistin Duygu Özkan hat sich nun in ihrem neuen Buch "Türkenbelagerung" mit dieser vielschichtigen Problematik auseinandergesetzt. Sie beschreibt sehr informativ den Wahrheitsgehalt und die Aktualität dieser Bilder und Vorurteile, die noch immer für weite Teile der heimischen Öffentlichkeit prägend sind.
Diese Prägung kann schon mit dem populären Märchen von "Hatschi Bratschi Luftballon" beginnen und setzt sich bis zu dem Vorurteil der Unintegrierbarkeit der türkischen Minderheit fort. Und hier stellt Özkan ein Missverständnis klar: "Dreiviertel der türkischen Bevölkerung in Österreich sind bestens integriert", erklärt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Also ein weitaus überwiegender Teil der 250.000 Türken und türkischstämmigen Bewohner (das sind etwa 112.000 Personen) des Landes. Sie sind so weit integriert, dass sie im täglichen Leben nicht "auffallen". Um die Integrations-Diskussion ernsthaft führen zu können, verweist Duygu Özkan auf ein wesentliches Faktum: Die Türken als homogene Ethnie gibt es nicht, denn ebenso Armenier, Kurden, Tscherkessen, arabische Türken und Aleviten sind wesentlicher Teil der türkischen Gesellschaft - und die Geschichte zeigt, dass diese Heterogenität viel Konfliktstoff in sich birgt.
Durch die nationalistische Politik der Vereinnahmung werden diese Konflikte auch in türkische Communities außerhalb der Grenzen getragen. So kann es passieren, dass es in Favoriten zu Schlägereien zwischen den einzelnen Gruppen kommt, die dann medial unter einem generellen Türkenproblem zusammengefasst werden. In diesem Fall macht Duygu Özkan darauf aufmerksam, welchen Identitätskonflikten diese Jugendlichen ausgesetzt sind, zwischen Familie und Schule, zwischen einem verqueren Türkentum und Integrationszwang.
Türken in Tracht?
Wobei die Journalistin gerade hier den maßgeblichen Fehler der österreichischen Politik sieht: "Den türkischen Gastarbeitern wurde in den 1970er-Jahren gesagt, sie sollten sich integrieren. Aber wie hätte das funktionieren sollen?" Weitestgehend ohne ausgearbeitet Konzepte bezüglich Schul- und Weiterbildung und ohne grundsätzliche Antworten, was denn Integration in Österreich bedeuten soll. Türken im Trachtenanzug? Sie selbst kam mit ihren Eltern, beide ausgebildete Pädagogen, nach Vorarlberg und die einzigen Arbeitsplätze, die ihnen angeboten wurden, waren in der Fabrik. Damit ging die qualitative Ausbildung einer ganzen Generation von Gastarbeitern verloren. Eine kurzsichtige Entscheidung, die für die heutigen Probleme mitverantwortlich ist.
Duygu Özkans "Türkenbelagerung" ist ein lesenswertes und ein sehr gut recherchiertes Buch. Der Autorin gelingt es, die virulenten Probleme aller Beteiligten aufzuzeigen, ohne den moralischen Finger zu erheben. Mit viel Hintergrundinformation schafft sie es durch kühle Fakten, Klischees und Vorurteile teilweise ad absurdum zu führen, und liefert damit einen kundigen Beitrag zur Migrationsdebatte.
Duygu Özkan: Türkenbelagerung. Metroverlag Wien, 155 Seiten, 19,90 Euro