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Paarlauf der Supermächte

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Die USA und Russland haben in Kirgistan ein gemeinsames Betätigungsfeld entdeckt. Ihre dortige Zusammenarbeit sollte auch in anderen Regionen Schule machen.


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Ein neues Krisengebiet in den Beziehungen zwischen den USA und Russland könnte man reflexartig heraufbeschwören angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage in Kirgistan. Das Gegenteil ist jedoch der Fall: Die kritische Lage im zentralasiatischen Staat bietet für Moskau und Washington eine weitere Gelegenheit zur Kooperation. "Wir wollen das auf keinen Fall zu einem Nullsummenspiel machen", sagt ein ranghoher US-Regierungsbeamter: "Ganz im Gegenteil, wir koordinieren unser Vorgehen ganz genau mit Moskau."

Kirgistans schwache Interimsregierung will eine internationale Truppe, die die Ordnung im Land wiederherstellen soll. Nur aus US-Soldaten sollte sie aber nicht bestehen. Die USA haben in diesem Teil der Welt bereits genug zu tun. Auch Russland will das nicht alleine übernehmen. Die ideale Interventionstruppe für Kirgistan sei eine mit russischer Beteiligung, meinen US-Regierungsbeamte. Sie könnte sich aus der Sicherheitsallianz der früheren Sowjetrepubliken zusammensetzen oder aus einer "Koalition der Willigen", aus türkischen, russischen, kasachischen und anderen Einheiten aus der Region.

Die USA leisten unterdessen bereits humanitäre Notfallhilfe. Mehr als eine Million Dollar und medizinische Unterstützung wurden auf den Weg gebracht, ein größeres Paket im Wert von mehr als zehn Millionen Dollar soll Ende der Woche noch dazukommen. Und obwohl die USA kein offizielles Ersuchen um militärische Hilfe erhalten haben, zieht die US-Regierung in Betracht, Überwachung aus der Luft und US-Militärflugzeuge für Truppentransporte und Versorgung zur Verfügung zu stellen.

Seit Ausbruch der Gewalt in Kirgistan sind die USA und Russland jedenfalls eng verbunden. Wohltuend am gemeinsamen Sicherheitsvorstoß ist, dass er von der so reflexhaften wie falschen Vorstellung wegführt, dass beide in einen Kampf um Einfluss in Zentralasien verstrickt sein müssen. Das zähe Bild des unvermeidlichen Konkurrenzkampfs stammt aus dem 19. Jahrhundert.

Ein für heute passenderes Bild zeigt Russland und die USA als Partner in Zentralasien. Immerhin haben sie dieselben Feinde: militante islamische Gruppen und kriminelle Banden, die die Stabilität der Region gefährden. US-Präsident Barack Obama arbeitet seit seinem Amtsantritt an der Umsetzung dieses Bildes. Laut seinen Mitarbeitern brachte er die Lage in Kirgistan und die Wichtigkeit, jede Konfrontation dort zu vermeiden, in fast jedem Treffen mit dem russischen Präsidenten Dmitri Medwedew zur Sprache.

Kirgistan ist für die USA deshalb so interessant, weil der Luftstützpunkt in Manas zur Haupttransitroute für US-Truppen und Nachschub Richtung Afghanistan geworden ist. Zur Zeit ist dieses nördliche Verteilungsnetzwerk für rund 70 Prozent der Transporte in die Kriegszone verantwortlich. Um die 1300 Mitarbeiter beschäftigen die USA dort. Früher war die Basis in Manas den Russen ein Dorn im Auge. Aber durch den neuen Geist der "pragmatischen Partnerschaft" hat Moskau sein Interesse am Erfolg der USA in Afghanistan entdeckt, die Ausbreitung islamischer Aufständischer nach Norden aufzuhalten.

Das Zusammenstehen in Zentralasien ist eine willkommene Entwicklung. Würde dieses Modell russisch-amerikanischer Zusammenarbeit auch noch auf das Auftreten dem Iran gegenüber ausgedehnt, dann könnte das zum Ausgangspunkt einer neuen Struktur werden, die den Namen "kollektive Sicherheit" wirklich verdient.

Übersetzung: Redaktion Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post". Originalfassung