US-Außenminister Kerry reist wieder nach Russland. Die Beziehungen sind auf dem Tiefpunkt, doch man braucht sich.
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Sotschi/Moskau/Washington. Nichts Neues unter der Sonne zwischen Washington und Moskau, möchte man meinen: Russlands Flotte hält derzeit im Mittelmeer ein Großmanöver mit dem neuen Partner China ab, während US-Truppen im Südkaukasus ebenfalls ein Großmanöver starteten - auf einer ehemals sowjetischen Luftwaffenbasis im verbündeten Georgien. Waffenschau im geopolitischen Kräftemessen eben, neuer Kalter Krieg eben.
Um so überraschender, dass just während des russisch-amerikanischen Säbelrasselns auch eine diplomatische Offensive stattfand: US-Außenminister John Kerry setzte sich am Freitag ins Flugzeug, um in Sotschi seinen russischen Amtskollegen Sergej Lawrow zu treffen. Eine Stunde vor Kerrys Landung war dann klar, dass sich auch Präsident Wladimir Putin für den amerikanischen Gast Zeit nimmt. Das US-Außenministerium teilte mit, bei der Reise gehe es vor allem darum, den Kontakt zu ranghohen russischen Vertretern aufrechtzuerhalten und sicherzustellen, dass US-Ansichten klar vermittelt würden. Man wolle vor allem über die Ukraine reden, sagte ein Mitarbeiter Kerrys. Putins Sprecher Dmitri Peskow bewertete den Besuch als "äußerst positiv".
Der Besuch Kerrys - der erste seit zwei Jahren - ist nicht nur eine Überraschung, sondern stellt auch eine Zäsur dar: Die Beziehungen zwischen Russland und den USA haben spätestens mit dem Streit um die Ukraine Minusgrade erreicht. Aber auch zuvor schon lagen sich die Kontrahenten etwa in der Frage der Syrien- oder Iran-Politik ebenso in den Haaren wie beim Thema Libyen, wo sich Russland vom Westen beim Sturz von Ex-Staatschef Muammar Gaddafi über den Tisch gezogen fühlte. Auch der geplante US-Raketenschild in Osteuropa sorgte für mehr als nur Irritationen: Russland befürchtet, dass dadurch das nukleare Gleichgewicht außer Kraft gesetzt werden könnte, und reagierte mit einer neuen Militärdoktrin, die Präventivschläge erlaubt - was wiederum bei den US-Verbündeten in Osteuropa Nervosität auslöste. Nicht verstummen wollen auch Gerüchte, die USA hätten über ihren Verbündeten Saudi-Arabien die Ölproduktion angeheizt, um - analog zur Entwicklung in den 1980er Jahren - dem rohstoffabhängigen geopolitischen Konkurrenten mittels eines billigen Ölpreises die Existenzbasis abzugraben. Russland kooperiert im Wirtschaftskrieg wiederum mit China und den anderen Brics-Staaten.
Als wäre das nicht genug, kommt noch eine persönliche Animosität zwischen Putin und seinem amerikanischen Amtskollegen Barack Obama hinzu, der Putin einmal als "gelangweiltes Kind in der letzten Reihe der Klasse" bezeichnet hat. "Russland ist isoliert, seine Wirtschaft liegt in Trümmern", hatte der US-Präsident im Jänner in seiner Rede zur Lage der Nation verkündet.
Doch der westliche Jubel über den baldigen russischen Wirtschaftszusammenbruch und die sich damit möglicherweise auftuende Chance auf einen Sturz Putins dürfte verfrüht sein. Russland hat den Rubel-Crash zur Jahreswende mittlerweile weitgehend verdaut. Vor allem aber: Bei aller Rivalität benötigen die USA Moskau auf internationaler Ebene. "In der Frage um das Atomwaffenprogramm des Iran ist Washington jede russische Unterstützung hochwillkommen", sagte der Politologe Hans-Georg Heinrich der "Wiener Zeitung". Auch in der Syrien-Politik hoffe Washington auf ein Einlenken des Kremls. Beobachter spekulieren auch darüber, dass der Besuch mit einer geplanten Nato-Militäraktion in Libyen zusammenhängen könnte. "Wenn die Amerikaner eine neue Resolution im UNO-Sicherheitsrat wollen, brauchen sie zumindest russisches Wohlverhalten", sagt Heinrich.
Pragmatische Politik
Bemerkenswert ist jedenfalls, dass die amerikanisch-russischen Beziehungen in manchen Bereichen intakt blieben. So vereinbarten Kerry und Lawrow im Oktober etwa eine enge Zusammenarbeit der Geheimdienste im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Auch der - allerdings bescheidene - Handel zwischen Russland und den USA ist, anders als der mit der EU, trotz der Sanktionen 2014 nicht eingebrochen, sondern sogar gestiegen.
Auch Russland hat ein gewisses Interesse an einer Normalisierung der Beziehungen. "Putin geht es darum, zu zeigen, dass er mit den USA von gleich zu gleich reden kann", sagt Heinrich. Russische Experten verweisen auch darauf, dass Russland nur durch Kooperation mit dem Westen Zugang zu den neuesten Technologien bekommt.