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In Deutschland sind an vielen kirchlich geführten Internaten Schüler von Geistlichen missbraucht worden. Die Fälle ereigneten sich in den 1970er und 1980er Jahren, erst jetzt werden sie langsam publik. Lange wurde die Entwürdigung von Kindern übergangen, nun aber ist es soweit: Der Jesuitenorden hat tapfer seine Mitschuld eingestanden. "Wir haben weggesehen. Wir haben die Täter lediglich örtlich versetzt", heißt es jetzt selbstkritisch.
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Staatliche Gerichte ermitteln nun in hunderten Fällen, sie versuchen zu ergründen, was den Opfern widerfahren ist. Und lösen bei den angeklagten Priestern Erschrecken aus. Diese berufen sich oft auf den Philosophen Plato, der 500 vor Christi Geburt den Begriff Liebe nicht als sein persönliches Verhältnis zu einer erwachsenen Frau erklärte - sondern als Beziehung zu einem Knaben. Die Frage, wie es dem betroffenen Buben dabei geht, was später aus ihm geworden ist, stellte sich damals gar nicht. Dieser Perspektivenwechsel ist grundlegend für die Zeit nach der Aufklärung, dem Zeitalter der Erleuchtung.
Eine Frage, die jetzt viele beschäftigt, lautet: Wieso gibt es justament unter gläubigen Christen - besonders auch unter katholischen Klerikern - derart viele Fälle von Pädophilie? Auch in Niederösterreich wird ja derzeit wegen Kinderpornografie gegen einen Pfarrer ermittelt. Hat die Berufsgruppe der Geistlichen etwa die Erleuchtung nie erreicht? Müssten nicht gerade Priester es nicht wesentlich besser wissen als "Normalmenschen"?
Der Klerus der Kirche ist dem Phänomen nach ein Männerbund. Ihn verstört nur das Weibliche fundamental und emotional. Frauen sind also zu fürchten - Knaben sind da viel harmloser: Sie kann man nicht heiraten (sie bieten keine "Gelegenheit zur Todsünde" dem Männerbund gegenüber), sie gebären keine Kinder, die Geschlechtsverkehr verraten könnten, und zeigen stattdessen viel mehr anschmiegsame Schwäche. Ihnen gegenüber wird man leichter zum Mann: Priester waren meist gutwillige Jugendliche, die pflichtgemäß dem Risiko der irdischen Liebe ausweichen mussten, um Priester werden zu dürfen. Sie sind mit dem Problem der Einsamkeit und der lebenslangen Isolierung konfrontiert, um es bleiben zu können. Niemand kann ihnen wirklich helfen, solange sie nicht zugeben können, dass ihr Kirchen-Glaube ein Teil des Problems ist, in dem sie stecken, wie sich weltweit zeigt.
Tragischerweise. Denn das Problem mit der Sexualität ist kein spezielles Kirchenproblem, und Männerbünde gibt es mehrere. Es wäre eine übergreifende Zusammenarbeit notwendig, um bessere Lösungen, für Opfer und Täter zu finden. Bei Verdacht auf Missbrauch zuerst wegzuschauen, dann den verurteilten Täter einzusperren und die Opfer finanziell zu entschädigen, kann jedenfalls nicht alles sein, wenn es um die Würde von Kindern geht.
Dr. Richard Picker ist Psychotherapeut und Theologe.