Amazon stellt in Wien Pakete selbst zu. Eine Abholstation gibt es aber nicht. Kunden berichten von Diebstahl.
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Wien/Großebersdorf. Wer seine Weihnachtsgeschenke jetzt noch nicht alle beisammen hat, für den könnte es bis zum Heiligen Abend schon etwas eng werden. Besonders ärgerlich ist es aber, wenn ein Päckchen eigentlich schon zugestellt worden ist - es aber gestohlen oder zerstört wurde, weil man nicht zuhause war und der Bote es einfach vor der Haustür abgestellt hat. Seit der US-Konzern Amazon im Herbst ein Verteilzentrum mit rund 9800 Quadratmetern in Großebersdorf (Bezirk Mistelbach in Niederösterreich) eröffnet hat und die Pakete im Großraum Wien selbst zustellt, sind Probleme wie diese vorprogrammiert: Denn es gibt keine Abholstation, wo nicht zustellbare Pakete deponiert werden könnten. Die 5000 bis 10.000 Packerl, die das Verteilzentrum in den rund 250 Fahrzeugen der neun externen Partner wie Intersprint, Albatros oder Veloce täglich verlassen, werden nur bis zur Haustür geliefert.
"Als ich am Abend von der Arbeit nach Hause gekommen bin, ist mein Paket aufgerissen vor der Haustür gelegen", berichtet eine Leserin. Der Gegenstand, eine Haarbürste, war zwar wieder zurückgelegt worden ("Vielleicht hat sich derjenige oder diejenige etwas anderes erwartet"), Lieferschein war aber keiner mehr da. Eine weitere Leserin hat ihren Artikel nie erhalten und erst bei der zufälligen Kontrolle ihres Kundenkontos bemerkt, dass dieser als "bereits zugestellt" gilt. Und ein weiteres Päckchen lag zwar beim Heimkommen des Käufers noch immer genau dort vor der Haustür seines Einfamilienhauses, wo es der Bote abgelegt hatte - allerdings völlig durchnässt und aufgeweicht, weil es in der Zwischenzeit zu schneien begonnen hatte.
Versender haftet so lange, bis dasPaket dem Käufer übergeben worden ist
Ein Anruf beim Kundenservice ergibt, dass sich Fälle wie diese offenbar häufen. Amazon-Sprecher Stephan Eichenseher will das allerdings nicht so stehen lassen. "Die meisten Zustellungen funktionieren völlig problemlos", sagt er zur "Wiener Zeitung". Grundsätzlich habe aber jeder Kunde die Möglichkeit, bereits im Vorfeld Amazon online mitzuteilen, wohin und wann er sein Paket am liebsten geliefert bekommen möchte. "Das kann ins Büro sein oder zum Lieblingsnachbarn." Freilich verfolge man den Grundsatz, so Eichenseher, "dass das Paket den Kunden finden soll". Eine Kooperation im Vorfeld könne aber helfen, Probleme zu vermeiden. Ist das Paket tatsächlich weg oder beschädigt, solle man sich mit dem Kundendienst in Verbindung setzen, der jeden Fall individuell kläre.
Dem Konsumentenschutzgesetz zufolge haftet jedenfalls der Versender so lange, bis das Paket dem Käufer übergeben worden ist, heißt es dazu auf Nachfrage von der D.A.S. Rechtsschutz AG. Nimmt ein Nachbar dieses entgegen, sei das eine reine Gefälligkeit - wobei ihn freilich schon eine gewisse Sorgfaltspflicht träfe. "Stellt er das Paket, nachdem er es entgegengenommen hat, seinerseits einfach nur vor der Haustür des Käufers ab, obwohl er weiß, dass dieser gerade für drei Wochen verreist ist, kann er schadenersatzpflichtig werden", so die D.A.S. Rechtsschutz AG.
Anders sei die Situation, falls der Käufer im Vorfeld eine Abstellgenehmigung mit dem Versender vereinbart hat. Dann geht die Haftung laut Experten zu dem Zeitpunkt, an dem das Paket am vereinbarten Ort abgestellt wurde, auf den Käufer über. Wenn es von dort gestohlen wird, könne sich der Käufer maximal am Dieb regressieren - sofern dieser gefunden wird.
Doch selbst, wenn der Versender haftpflichtig ist, dann nur für jene Summe, wie sie in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) angegeben ist. Alles, was an Wert darüber hinausgeht, werde nicht bezahlt, heißt es. Bei Amazon ist allerdings selbst in den AGB keine Wertangabe zu finden. "Der Kundenservice regelt mit dem Kunden den individuellen Fall", sagt Eichenseher auch dazu.
Handelt es sich um zerbrechliche Ware, eine Vase, Gläser oder eine Flasche, so genügt ein Aufkleber mit dem Wort "zerbrechlich" laut D.A.S. Rechtsschutz AG nicht. Für gewöhnlich müsse der Verkäufer dem Zusteller eine höhere Summe zahlen, damit dieser das Paket gesondert behandelt. "Hier gibt es allerdings einen Graubereich", heißt es: Wenn groß "zerbrechlich" auf dem Paket steht und der Zusteller es trotzdem mit Schwung in den Lieferwagen wirft, könnte sich dieser der groben Fahrlässigkeit zu verantworten haben.
Angenommen, man ist bei der Zustellung des Pakets mit der erwarteten Vase zuhause und das Paket scheppert verdächtig, dann raten die Experten, es noch in Anwesenheit des Boten zu öffnen. Ist die Vase tatsächlich in Scherben angekommen, "soll man die Annahme verweigern und die Übernahme nicht unterschreiben", raten die Experten.
Ein weiterer Graubereich aufgrund zu geringer Erfahrungswerte und Präzedenzfälle sei das Thema Datenschutz. Seit dem Ende der Übergangsfrist und dem endgültigen Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordnung der Europäischen Union, mit der der Konsument besser geschützt werden soll, hat dieser zum Beispiel Anspruch auf Schadenersatz, und der Strafrahmen für die Unternehmen wurde erhöht. Adressenangaben seien freilich in Ordnung, sind jedoch die Kundennummer oder sogar das Geburtsdatum für jeden sichtbar zu lesen, könnte das den Experten zufolge problematisch werden.
Dass Amazon für die Pakete haftet, bis sie dem Käufer übergeben worden sind, ist dem US-Konzern freilich bewusst. Aber auch, dass es schwierig ist, zu überprüfen oder zu beweisen, dass ein als verloren gemeldeter Artikel tatsächlich nicht beim Käufer angekommen ist.
Nicht zustellbare Pakete werden mitunter im Lieferwagen gelagert
Aktuell versuche man daher als mögliche Option, ein nicht zustellbares Paket einfach wieder in den Lieferwagen zu geben und in diesem bis zum nächsten Zustellversuch zu lagern, sagt Eichenseher zur "Wiener Zeitung". Auch das Anbringen von Zetteln an der Wohnungstür mit genauen Angaben, zum Beispiel welcher Nachbar das Paket entgegengenommen hat, sei zunehmend Usus. Online seien diese Angaben im Kundenkonto jederzeit abrufbar, so der Amazon-Sprecher.
Der Online-Handel wachse stetig. Erst die Tatsache, dass Amazon seine Kapazitätsgrenze erreicht hatte, habe das Verteilzentrum in Niederösterreich notwendig gemacht. Drei Jahre davor, Ende 2015, hatte man das erste in Deutschland außerhalb Münchens errichtet - mittlerweile ist man hier laut Eichenseher in zahlreichen weiteren Regionen vertreten. Das spüren freilich die anderen Zusteller. Bei der Österreichischen Post AG zum Beispiel wirke sich die Zustellung der Pakete im Großraum Wien durch Amazon bereits aus, sagt Post-Sprecher Michael Homola: Im Dezemberschnitt werde die Post heuer voraussichtlich rund 116.000 Pakete täglich zustellen - im Vorjahr waren es noch 122.000.
Einen ähnlichen Effekt habe es auch beim Markteintritt des deutschen Paketzustellers DHL gegeben, sagte Post-Generaldirektor Georg Pölzl im Vormonat bei der Vorlage der Quartalsdaten. Die Zeiten der zweistelligen Wachstumsraten im Post-Paketgeschäft gehörten jedenfalls bald der Vergangenheit an. "Das Wachstum im Paketbereich wird sich im nächsten Jahr mit Sicherheit in den einstelligen Bereich begeben, weil wir hier natürlich einen Amazon-Effekt haben werden", so Pölzl.
Insgesamt werden im Weihnachtsquartal rund 60 Millionen Packerl zugestellt, schätzt die Regulierungsbehörde RTR. Über das Jahr gerechnet waren es 2017 mehr als 209 Millionen Pakete. Von diesem gesamten österreichischen Paketmarkt hält die Post nach Eigenangaben noch 47 Prozent.
Die Logistik hinter dem Onlineriesen Amazon aus Seattle ist mittlerweile eine komplexe Angelegenheit. Das Verteilzentrum in Großebersdorf ist kein Warenlager, sondern erhält die bestellten Sachen aus
anderen europäischen Amazon-Logistikzentren. Die Lieferung zur Wohnungstür erfolgt dann wie gesagt über die Partner. Onlinehändler wie Amazon stehen schon länger in der Kritik - einerseits, weil sie in den meisten Ländern keine versteuerbaren Firmensitze haben, und andererseits von Arbeitnehmervertretern.
Ersterem möchte die EU-Kommission nun mit einer dreiprozentigen Umsatzsteuer (EU-Digitalsteuer) für Unternehmen begegnen, deren weltweiter Jahresumsatz mehr als 750 Millionen Euro beträgt. Zweitere, konkret die Gewerkschaft Verdi, haben zuletzt zu Streiks an den zwei deutschen Amazon-Standorten Werne und Leipzig aufgerufen. In der Nacht auf vergangenen Montag wollten sie damit ihrer Forderung nach Tarifverträgen des Einzelhandels Nachdruck verleihen. Verdi kämpft seit 2013 für einen Tarifvertrag für die rund 16.000 Beschäftigten des US-Händlers in Deutschland - ohne Erfolg. "Bei dem Umsatz, den Amazon in der Weihnachtszeit auf dem Rücken der Kolleginnen und Kollegen erwirtschaftet", so die Kritik, "ist dies durch nichts zu rechtfertigen."