Islamabad: "Zu früh, um darüber nachzudenken." | Vergeltung nach heftiger Dauerkritik Washingtons. | Islamabad. Die Spannungen zwischen USA und Pakistan wachsen sich zu einer diplomatischen Krieg aus. Nachdem erstmals auch US-Präsident Barack Obama pakistanischen Regierungs- oder Geheimdienstkreisen öffentlich vorgeworfen hatte, den getöteten Al-Kaida-Chef Osama bin Laden jahrelang gedeckt zu haben, und erklärt hatte, das US-Mordkommando sei gegen einen militärischen Widerstand der pakistanischen Streitkräfte gewappnet gewesen, ging Islamabad nun in die Gegenoffensive. | Kriegsspiele an der Grenze zu Indien
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Der Forderung Washingtons nach einer raschen Direktbefragung der drei Witwen des Terrorchefs, die mit ihm in dem gestürmten Versteck lebten, erteilte die Regierung eine Abfuhr. Von ihnen erwarten die CIA-Ermittler wichtige Informationen über das Al-Kaida-Terrornetzwerk und über Bin Ladens Kontaktnetz, doch Pakistans Führung sieht keine Eile, dem Anliegen nachzukommen. Ein sich auf US-Regierungsquellen berufender Bericht des US-Senders CBS, wonach Islamabad bereits Grünes Licht erteilt habe, wurde umgehend dementiert. Noch sei keine Entscheidung gefallen, ließ am Dienstag ein Regierungssprecher verlauten. Es sei außerdem "noch zu früh, überhaupt darüber nachzudenken". Auch sei kein offizielles Ansuchen der USA eingelangt, hieß es. Damit müssen die CIAErmittler bis auf weiteres ihre Fragen bei den pakistanischen Behörden einreichen.
Die Zeit läuft. Pakistan will die drei in Sicherheitsgewahrsam befindlichen Witwen und deren Kinder so rasch wie möglich in die Heimatländer zurückführen. Erste Verhandlungen mit den Behörden im Jemen und in Saudi-Arabien seien bereits erfolgt, hieß es nach unbestätigten Medienberichten. Bin Laden hatte mit seinen Frauen auf dem Areal in Abbottabad fünf Jahre lang unbehelligt gelebt, wofür Washington von Pakistan nachdrücklich Rechenschaft verlangt. Islamabad rächte sich damit, indem es die US-Aktion als brutale Hinrichtung darstellte. Die 14-jährige Tochter der jemenitischen Ehefrau Samal al-Sadah habe zusehen müssen, wie ihr Vater von den Navy Seals vor den Augen der Familie erschossen worden sei, ließ der pakistanische Geheimdienst kurz darauf durchsickern. US-Volksvertreter drohten Pakistan umgekehrt damit, die Finanzhilfe in Höhe von jährlich mehreren Milliarden Dollar zu streichen, sollte Pakistan die Namen des Bin Ladenschen Helfer-Netzwerkes schuldig bleiben.
Pakistan, das von Washington über die Militäraktion vorab nicht informiert worden war, fühle sich düpiert, begründen Beobachter die jüngste Trotzhaltung. Die Obama-Regierung honoriere in den Augen der Regierung und des mächtigen Geheimdienstes (ISI) die jahrelange enge Kooperation Pakistans mit den USA im Kampf gegen die Al-Kaida zu wenig. Zumal die Führung ob ihrer US-Nähe in dem islamistisch geprägten Land innenpolitisch gewaltig unter Druck stehe.
Auch fürchtet Pakistan Racheakte der Al-Kaida. Am Dienstag explodierte eine Bombe vor einem Gerichtsgebäude im Nordwesten, dem Rückzugsgebiet der Al-Kaida, zwei Polizisten starben.
In Kenia wurde indes aus Sorge um die Sicherheit der Stiefgroßmutter von US-Präsident Barack Obama eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung für die 89-Jährige in ihrem Heimatdorf Kogelo angeordnet. Es wird befüchtet, Sarah Obama könnte nach dem Tod Bin Ladens Ziel eines Vergeltungsanschlags der Al-Kaida werden.