Hunderttausende Menschen auf der Flucht. | Gerüchte über ein Kriegskabinett. | Neu Delhi. Pakistans verschwiegener Armeechef Asfaq Kayani meldet sich nur spärlich zu Wort. Doch am Donnerstagabend beschwor der Kettenraucher mit dem Poker-Gesicht die ganze Nation, den Kampf gegen Terroristen und Extremisten aufzunehmen. Die Sicherheitslage erfordere es, dass alle Kräfte im Lande in enger Harmonie gegen die Bedrohung zusammenarbeiten, erklärte er.
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Nur wenig später wandte sich Pakistans Regierungschef Yusuf Raza Gillani in einer dramatischen Fernsehansprache an die Bevölkerung. "Um Ehre und Würde unserer Heimat wiederherzustellen und unser Land zu schützen, sind die Streitkräfte gerufen worden, die Militanten und Terroristen zu vernichten", sagte er und verteidigte damit die beiden Werte, die vielen Pakistanern am teuersten sind.
Die Armee hatte am Mittwoch mit der Bombardierung des Swat-Tals begonnen. Etwa zur gleichen Zeit diskutierte Pakistans Präsident Asif Ali Zardari in Washington die Situation des Landes. Am Freitag schickte das Militär Verstärkung in das Krisengebiet. Hunderttausende in der Region sind inzwischen auf der Flucht. Der Einsatz ist alles andere als ein Waldspaziergang. Die Taliban haben Gebiete vermint, sich in Wohnhäusern verschanzt und hindern Zivilisten offenbar an der Flucht. Armeesprecher Athar Abbas sagte, die Extremisten im Swat seien vom Terrornetzwerk Al Qaida trainiert worden. Die Sicherheitskräfte versuchten nun, die Führer der Taliban im Swat unschädlich zu machen, wie die Regierung es befohlen habe.
Zivilbevölkerung gerät zwischen die Fronten
Pakistan hat nach langem Zögern den Kampf gegen den Feind im Inneren aufgenommen. Im schmutzigen Bürgerkrieg gegen Taliban und andere Extremisten ist mit hohen Verlusten zu rechnen. In der bergigen Gegend, wo der Kampf nun begonnen hat, ist ein Sieg nur zäh und mühsam zu erreichen. Bereits jetzt gibt es Klagen der Zivilbevölkerung, die zunehmend zwischen die Fronten gerät. Auch sind die Soldaten nicht begeistert, gegen die eigenen Landsleute und Glaubensbrüder zu kämpfen.
Bereits in der Vergangenheit war das Militär gegen die Taliban vorgegangen, hatte sich dann jedoch wieder aus dem Kampf zurückgezogen. Es gibt nun aber Indizien, dass es die Armee ernst meint mit dem Krieg. Bei dem Kämpfen ist auch ein Sohn von Maulana Mohammed Sufi, dem Führer der lokalen Taliban, ums Leben gekommen, als die Armee das Heimatdorf des Geistlichen im Bezirk Lower Dir beschoss.
Mit Sufi hatte die Regierung im Februar einen umstrittenen Friedensvertrag geschlossen, der inzwischen aufgekündigt wurde. Früher waren die Anführer der Extremisten in der Regel vom Militär gewarnt worden, wenn ein solcher Angriff bevorstand.
Doch die USA sind nicht mehr gewillt, sich mit bloßen Zusicherungen Pakistans abspeisen zu lassen, sondern wollen konkrete Erfolge im Anti-Terror-Kampf sehen.
Zudem mehren sich in Pakistan Gerüchte, dass schon bald eine Notstandsregierung in Islamabad die Zügeln in die Hand nehmen könnte.
Die USA sind seit längerem frustriert mit der seit einem Jahre bestehenden Zivilregierung, die sich in politischen Grabenkämpfen aufreibt, statt den Anti-Terror-Kampf zu führen. Die Militäroperation könnte nun den Vorwand liefern, eine Krisenkabinett einzusetzen, das für ein Jahr die Geschäfte leitet, ohne dass das Militär oder die Parteien direkt die Verantwortung für den Krieg im eigenen Land übernehmen müssten.