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Pakistan vor der Zerreißprobe

Von Steven Gutkin

Politik

Islamabad - Die Schlüsselrolle, die Pakistan bei einem Vergeltungsschlag der USA gegen die Taliban in Afghanistan zugeschrieben wird, stellt das islamische Land vor eine schwere Zerreißprobe. Die Militärregierung von General Pervez Musharraf hat den USA volle Unterstützung für jede Antwort auf die Terroranschläge vom 11. September zugesagt. Ein großer Teil der 140 Millionen Einwohner aber sympathisiert mit radikalen islamischen Organisationen wie den Taliban und dem Hauptverdächtigen Osama Bin Laden.


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"Jede Aggression gegen Afghanistan wird sehr gefährliche Konsequenzen haben", erklärte am Sonntag der Generalsekretär der Jamaat-e-Islami (Islamische Partei), Munawwar Hassan. "Wir haben keine andere Wahl, als unsere islamischen Brüder zu unterstützen." Rund 300 Demonstranten zogen am Samstag mit antiamerikanischen Transparenten und Sprechchören durch die Hauptstadt Islamabad und feierten Bin Laden. Besonders aufgebracht ist die Stimmung in Peshawar nahe der Grenze zu Afghanistan. "Wir werden uns dem Heiligen Krieg gegen den Westen anschließen, wenn die Amerikaner es wagen sollten, Afghanistan anzugreifen", erklärte dort der Geistliche Hasan Jan.

Seit seinem Putsch vor zwei Jahren bemüht sich Musharraf darum, die Fundamentalisten in Schach zu halten und gleichzeitig einen vorsichtigen Modernisierungskurs einzuschlagen. Angesichts der Widerstände im eigenen Land scharte der Staatschef am Sonntag in Lahore die Vertreter von rund 40 Parteien um sich, um über die schwierige Lage zu beraten. Zu Beginn der Beratungen hielten sich die Kritik an einer amerikanisch-pakistanischen Allianz und die Verurteilung der Terroranschläge in den USA etwa die Waage.

Entsprechend vorsichtige Formulierungen wählte Außenminister Abdul Sattar, als er am Samstag vor der internationalen Presse die Entscheidung für eine volle Zusammenarbeit mit den USA bekannt gab. Dabei betonte er, dass es sich um die Sache der ganzen Staatengemeinschaft handle und nicht nur um eine Angelegenheit zwischen den USA und Pakistan.

Traditionell sind die Beziehungen zwischen Pakistan und den USA besonders eng. Im Kalten Krieg schlug sich Pakistan zum Westen, während der Erzfeind Indien ein gutes Verhältnis zu Moskau pflegte und mit der Sowjetunion einen Beistandspakt schloss. Aber seit dem Aufstieg der von Pakistan geförderten Taliban, die Amerikas "Staatsfeind Nr. 1" Bin Laden als Gast aufnahmen, haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad deutlich abgekühlt. "Diese Situation bietet Pakistan die Möglichkeit, sich einen neuen Platz in der internationalen Gemeinschaft zu suchen", sagt Riffat Hussein von der Quaid-e-Azam-Universität in Islamabad. Wenn Pakistan die Zusammenarbeit mit den USA abgelehnt hätte, wären die Kosten zu hoch gewesen: "Sobald man als Staat gilt, der den Terrorismus unterstützt, steht das Verdammungsurteil fest." Hussein erwartet, dass die Regierung die Pro-Taliban-Stimmung in der Öffentlichkeit unter Kontrolle bringen kann.

Dann gibt es noch die Drohungen aus Kabul. "Wenn irgendein Nachbarland den USA hilft, uns anzugreifen, würde dies außerordentliche Gefahren heraufbeschwören", sagte am Samstag der Taliban-"Botschafter" in Pakistan, Abdul Salam Zaeef. "Dies würde uns in einen Vergeltungskrieg hineinziehen." So hat Pakistan bereits die militärische Sicherung der 2400 Kilometer langen Grenze mit Afghanistan verstärkt. Die Regierung soll laut Presseberichten der amerikanischen Forderung zugestimmt haben, die Grenze zu Afghanistan zu schließen.

Annäherung zwischen USA und Iran?

Angesichts der Zäsur, die die Terroranschläge von New York und Washington für die Weltpolitik bedeuten, scheint nichts mehr unmöglich. Selbst eine Annäherung der einstigen Erzfeinde USA und Iran ist nicht mehr undenkbar. Der gemeinsame Gegner, das Taliban-Regime in Afghanistan, könnte Washington und Teheran einander näher bringen.

Das US-Außenministerium erklärte in der Nacht auf Sonntag, Washington sei bereit, über die Einbindung des Iran in die internationale Anti-Terror-Koalition nachzudenken. Der Iran habe "sehr positiv" auf die Terrorangriffe vom Dienstag reagiert, sagte Außenamtssprecherin Brenda Greenberg. "Die Gedanken, die dabei auftauchen", seien es wert, einmal zu prüfen, ob eine kooperative Beziehung bei der Terrorbekämpfung möglich sei.