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Pakistan: Wenn der Terror zur Gewohnheit wird

Von WZ-Korrespondentin Agnes Tandler

Politik

In Pakistan gehören Terror-Anschläge zum Alltag. | Hilfe für die Opfer und Überlebende gibt es jedoch kaum. | Islamabad. 52 Bombensplitter fand man in ihrem Körper: Gul Rukh war auf der Stelle tot, als sich der Attentäter im Oktober 2009 neben ihr im Empfangsraum des UN-Welternährungsprogramms in Islamabad in die Luft sprengte. Terroranschläge wie dieser gehören in Pakistan längst zum Alltag. Die islamische Republik leidet wie kein anderes Land unter den Attentaten der religiösen Extremisten. Im Jahr 2009 gab es um die 500 Bombenanschläge, bei denen 1668 Menschen starben und etwa 15.000 verletzt wurden.


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Die Überlebenden sind oft traumatisiert: So wie Tahir Malik, der Mann von Gul Rukh, die beim Welternährungsprogamm arbeitete. Seit dem Tod seiner Frau hat der 61-Jährige eine Mission. Er versucht in Pakistan ein Netzwerk für Terror-Opfer zu etablieren, das "Global Survivors Network".

"Die Menschen verstehen nicht, dass das ein ganz anderer Tod ist", sagt Tahir. Er redet mit den Familien, die Angehörige verloren haben. Er spricht zu den Studenten, die miterleben mussten, wie Kommilitonen ihr Leben bei einer Explosion in der Cafeteria verloren. Er biete seine Hilfe an und versucht so, seinen eigenen Schmerz zu lindern. "Ich versuche, mein Leben wieder zusammenzusetzen", sagt er.

Die pakistanische Regierung zahlt den Familien von Terroropfern eine Entschädigung. Doch nicht immer kommt das Geld bei den Betroffenen an.

Im vergangenen Jahr seien die Mittel für die Terroropfer schon im September aufgebraucht gewesen, berichtet Tahir. Danach habe die Regierung zunächst nichts mehr ausgezahlt. "Die Schecks sind geplatzt".

Die meisten Opfer, erzählt Tahir, sind einfache Menschen: Teeverkäufer, Straßenkehrer, Sicherheitskräfte, Wächter oder Fahrer. "Es sind die Ärmsten der Armen".

Hilfe für Überlebende

Tahir möchte die Überlebenden erreichen, ihnen professionelle Hilfe anbieten, sie beim Weg zum Krankenhaus und zu den Behörden unterstützen. In Pakistan, so sagt er, könne niemand mit dem Schmerz und dem Trauma umgehen. "Wir stumpfen immer mehr ab. Wenn es einen Anschlag irgendwo in Pakistan gibt, fragen wir uns, ob wir da jemanden kennen. Wenn nicht, gehen wir wieder zur Tagesordnung über."

Tahir will an die Öffentlichkeit. "Sogar in den Familien sind die Menschen zu scheu, um über den Anschlag und seine Folgen zu reden", sagt er. "Ich erzähle den Menschen meine Geschichte." Das helfe vielen, von ihren schrecklichen Erlebnissen zu erzählen. "Es gibt keine psychologische Unterstützung in Pakistan. Wer zu einem Psychologen geht, gilt als verrückt". Tahirs neue Aufgabe führt ihn durch das ganze Land. Und überall hört er sich die traumatischen Geschichten der Überlebenden an. In Lahore zog ihn die Tochter einer bekannten Pathologin zu Rate. Ihre Mutter hatte nach dem Anschlag auf den Moon Market, ein beliebtes Einkaufszentrum, die verbrannten Leichen im Krankenhaus begutachten müssen. Obwohl die Ärztin seit Jahren diesen Job macht, konnte sie drei Tage lang nicht schlafen. "Das ist Pakistan", sagt Tahir.

Auch die 21-jährige Maham Ali lässt das Schicksal der Überlebenden des Terrors nicht kalt. Wie Tahir klagt sie nicht, sondern handelt. Mit Hilfe von SMS-Nachrichten sammelte die Studentin über 50.000 Rupien (430 Euro) für die Familie von Pervaiz Masih. Der Hausmeister kam bei einem Anschlag auf die Cafeteria der International Islamic University in Islamabad Ende Oktober 2009 ums Leben. Pervaiz rettete hunderte Menschenleben, weil er mutig dem Selbstmordattentäter den Weg in das Studentinnen-Cafe auf dem Campus versperrte. In Pakistan steht er ganz unten auf der sozialen Leiter. Auch Monate nach dem Anschlag hatte seine Familie kein Geld von der Regierung erhalten. Menschen wie Pervaiz, Maham und Tahir sind Pakistans stille Helden.