Politische Dauerkrise erreicht durch Verfassungsrichter neuen Höhepunkt.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 12 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Islamabad. Pakistan ist ohne Regierungschef: Das Oberste Gericht (OG) hat Premierminister Yusuf Raza Gilani am Dienstag seines Amtes enthoben, nachdem er vor zwei Monaten verurteilt worden war und seither offiziell vorbestraft ist. "Yusuf Raza Gilani ist seit dem 26. April nicht mehr befähigt, Mitglied des Parlaments zu sein. Zudem ist er seitdem nicht mehr Premierminister", erklärte der Oberste Richter Iftikar Chaudhry bei der Urteilsverlesung in Islamabad. Der spektakuläre Richterspruch ist ein weiterer Höhepunkt im Dauerkampf zwischen der zivilen Regierung und Pakistans oberster Justiz, die gerne auch politisch mitmischt.
Gilani war wegen Missachtung des Gerichtes im April zu einer symbolischen Haftstrafe von knapp einer Minute Dauer verurteilt worden. Weil er damit vorbestraft ist, vertritt das Gericht die Ansicht, dass er nicht mehr befähigt ist, sein Amt auszuüben. Gilani ist hingegen der Auffassung, dass er als Premier immun vor der Strafverfolgung ist. Es ist unklar, wie sich die Regierung nun verhalten wird. Der Politker der Volkspartei (PPP) könnte versuchen, dem Richterspruch zu trotzen oder aber jemand anderem das Amt provisorisch zu übertragen. Zunächst aber muss die Wahlkommission Gilani formal disqualifizieren. Laut Verfassung hat sie dazu 90 Tage Zeit. Ihre Entscheidung könnte dann erneut vor Gericht angefochten werden.
Gilani hatte sich im Streit mit der obersten Justiz bislang stets kämpferisch gegeben. Seine PPP hält im Parlament die Mehrheit und könnte es daher schaffen, auch seinen Nachfolger zu bestimmen. Doch das Richterurteil ist ein gefundenes Fressen für die Opposition, die auf einen Rücktritt und vorgezogene Neuwahlen im Herbst spekuliert.
Die Strafsache Gilani zieht sich schon lange hin: Vor über zwei Jahren hatte das OG ein Verfahren gegen den Premier angestrengt, um Pakistans Präsidenten Asif Ali Zardari, einen Parteifreund Gilanis, politisch zum Rückzug zu zwingen. Die Richter verlangten von Gilani, in der Schweiz die Wiedereröffnung eines alten Strafverfahrens gegen Zardari wegen Geldwäsche und Korruption zu beantragen. Doch Gilani hatte sich der Aufforderung mit dem Argument widersetzt, der Präsident genieße inzwischen Immunität vor Strafverfolgung. Daraufhin hob das Oberste Gericht den Schutz für Zardari auf. Gilani weigerte sich dennoch und wurde dafür verurteilt.
Das OG ist der Regierung schon seit längerem feindlich gesonnen. Beobachter glauben, dass Pakistans mächtiges Militär die Richterbank nutzt, um hinter den Kulissen den Kampf gegen die Politiker zu führen. Andere sehen als Grund eher eine persönliche Fehde zwischen Höchstrichter Chaudhry und Zardari.