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Pakistans vertrackter Terrorkampf

Von Analyse Von Agnes Tandler

Politik

Im Swat-Tal steht eine Offensive bevor. | "Galoppierende Talibanisierung." | Neu Delhi/Islamabad. Einwohner des von den Taliban heimgesuchten Swat-Tals in Pakistan sind am Dienstag aufgefordert worden, ihre Häuser zu verlassen. In der früheren Touristen-Region scheint sich eine Offensive des Militärs abzuzeichnen, nachdem ein umstrittener Friedensvertrags zwischen Regierung und Extremisten in der Region, die nur rund 150 Kilometer von Islamabad entfernt liegt, gescheitert war.


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Schon vor einer Woche hatten Truppen damit begonnen, Taliban-Kämpfer aus umliegenden Gebieten zu vertreiben. Nachdem sich die Militanten unter Führung von Maulana Sufi trotzig weigerten, ihre Waffen, wie abgemacht, niederzulegen, gab es für die Regierung in Islamabad kaum einen anderen Ausweg.

Die Extremisten sind in Pakistan auf dem Vormarsch: Im letzten Jahr sind 2239 Menschen bei Terroranschlägen ums Leben gekommen - 70 Prozent mehr als noch 2007. Die Zahl der Attacken hat sich nach Angaben der US-Regierung mehr als verdoppelt. "Ich behaupte nicht länger, dass es in Pakistan eine schleichende Talibanisierung gibt, es ist eine galoppierende Talibanisierung", stellte jüngst der Publizist Ahmed Rashid in Karachi fest.

In den letzten Wochen haben die USA und andere Staaten immer wieder vor einem Zusammenbruch des Landes gewarnt. Besorgte Stimmen fragten, ob die Nuklearwaffen Pakistans noch sicher vor dem Zugriff der Extremisten seien. Präsident Barack Obama machte klar, dass all dies Thema sein wird, wenn er am Mittwoch mit Pakistans Präsident Asif Ali Zardari und dessen afghanischen Kollegen, Hamid Karzai, erstmals in Washington zusammentrifft.

Katastrophen-Rhetorik

Viele aufgeregte Zitate der letzten Tagen sind zum großen Teil Katastrophen-Rhetorik, um knauserige Kongress-Abgeordnete davon zu überzeugen, in Zeiten der großen Wirtschaftskrise Gelder für Pakistan locker zu machen. Ein umfangreiches Hilfspaket für die islamische Republik wird im Moment im Parlament beraten. Das Land stand bereits kurz vor dem Staatsbankrott. Doch auch wenn das Land nicht zwingend in den nächsten sechs Monaten untergeht, ist die Lage ernst.

Als 2001 die USA und westliche Truppen die Taliban-Regierung in Afghanistan stürzten, flohen die militanten Kämpfer ins benachbarte Pakistan und fanden - mit Deckung des pakistanischen Militärs - in der abgelegenen Grenzregion Unterschlupf. Seither haben sich die Extremisten weiter radikalisiert und an Einfluss gewonnen. Sie unterhalten gute Verbindungen zu anderen Terror-Gruppen wie Al Kaida oder Lashkar-e-Toiba. Das Kalkül des damaligen Präsidenten und Armeechefs Pervez Musharraf war es, die Taliban als Waffe im Kampf um den Einfluss in Afghanistan zu konservieren und die selbsternannten "Gotteskrieger" auch gegen den Erzfeind Indien als Trumpf im Ärmel zu behalten.

Weil das mächtige Militär in Pakistan stets sein eigenes Spielchen spielte, blieb die Verbindung zwischen den Extremisten und den Streitkräften kaum angetastet. Mit einer Stop-and-Go-Politik wurden die Islamisten einmal bekämpft, dann verhandelte man mit ihnen wieder über Frieden.

Die Obama-Regierung setzt nun im Anti-Terror-Kampf auf die seit gut einem Jahr bestehende Zivilregierung und versucht, öffentlichen Rückhalt für den Krieg gegen die Islamisten zu bekommen. Viele in Pakistan sehen weiterhin ihr Land mehr durch Indien als durch die Taliban bedroht. Die strategische Ausrichtung des Militärs ist unverändert auf die Grenze zu Indien gerichtet, wo rund 90 Prozent aller Truppen stationiert sind, während der Kampf gegen die Islamisten der Polizei und den paramilitärischen Grenztruppen überlassen wird.

Anschlag in Peshawar

In der Nordwest-Grenzprovinz, in der die Taliban ihre Bastionen haben, werden weiter Politiker der liberalen Regierungspartei ANP ermordet. Am Rand der nordwestlichen Metropole Peshawar hat erst am Dienstag ein Selbstmordattentäter mindestens fünf Menschen mit in den Tod gerissen. Etwa 20 weitere Menschen wurden laut einem Polizeisprecher verletzt. Der Attentäter hatte sich in einem mit Sprengstoff beladenen Wagen in der Nähe einer Kontrollstelle der Polizei und der Grenztruppen am Stadtrand in die Luft gesprengt. Unter den Verletzten waren auch sechs Kinder, die zum Zeitpunkt der Detonation in einem Schulbus an dem Anschlagsort vorbeifuhren.

Die radikalislamischen Taliban hatten zuvor mit einer Eskalation der Gewalt gedroht, sollte das Militär seine Operationen im Nordwesten Pakistans nicht einstellen. Aber das Attentat ist nur das jüngste von dutzenden Selbstmordanschlägen in der Grenzregion.

Die Einwohner sind demoralisiert. Weil die Regierung sich unfähig gezeigt hat, die Menschen zu beschützen, sind viele aus der Region geflohen. Die Extremisten sollen seit 2007 etwa 300 Stammesführer getötet haben, die ihrer Machtausbreitung im Wege standen. Die Regierung wird es schwer haben, hier Strukturen von Recht und Ordnung wieder aufzubauen.

Die Regierung unter Präsident Zardari hat wenig Schneid gezeigt. Fast ein Jahr stritten sich die beiden größten Parteien des Landes wie zwei wilde Hyänen und legten das politische Leben weitgehend lahm. Die Paralyse dauert an. Die Macht einer jeden zivilen Regierung in Pakistan ist jedoch stets begrenzt gewesen. Die USA sind daher auch mit der Armee im Gespräch. Doch während Armeechef Asfaq Kayani den Extremisten den Kampf angesagt hat, scheinen andere im großen Apparat wenig geneigt zu sein, gegen eigene Landsleute und Glaubensbrüder in den Krieg zu ziehen. Die vertrackte Situation in Pakistan ist kaum zu lösen.