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Noch nie ist Litauens Präsident Rolandas Paksas unter derart großem politischen Druck gestanden: Nachdem jetzt bekannt wurde, dass der Politiker den vermutlich kriminellen russischen Geschäftsmann Juri Borisow, gegen den in Litauen staatsanwaltliche Erhebungen eingeleitet wurden, in sein Beraterteam aufnehmen wollte, ist Feuer am Dach. Die Frage ist jetzt, wie tief Paksas in die Machenschaften des russischen Geheimdienstes verwickelt ist und ob er nicht sogar eine Gefahr für elementare Sicherheitsinteressen seines Landes darstellt.
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Im litauischen Präsidentenpalast hatten vergangene Woche wieder einmal die Handwerker das Sagen. Um zu demonstrieren, dass er an den Erfolg des gegen ihn eingeleiteten Amtsenthebungsverfahrens nicht glaube, lässt Präsident Roland Paksas die Residenz derzeit aufwendig nach seinen ganz persönlichen Vorstellungen umgestalten.
Doch ob Paksas sich tatsächlich lange an den neuen Lustern, Möbeln und Täfelungen des präsidialen Domizils am Daukantas-Platz freuen wird, bleibt ungewiss. Mitte März hat Litauens Verfassungsgerichtshof die Beratungen darüber aufgenommen, ob das Amtsenthebungsverfahren gegen Paksas zulässig ist. Bis die Richter den rund eine Tonne schweren Berg von Akten durchgearbeitet haben, wird es zwar noch zwei bis drei Wochen dauern, es könnte aber auch schneller gehen: Derzeit deutet alles darauf hin, dass sich im Seimas, dem litauischen Parlament, eine Mehrheit für die Enthebung des Präsidenten findet.
Fragwürdige Berater
Die Vorwürfe an Paksas sind schnell zusammengefasst: Der Präsident habe die nationale Sicherheit gefährdet, indem er in seiner Umgebung Berater duldete, die für Russlands Geheimdienste arbeiten. Mehrmals soll der Präsident unter ihrem Druck in Privatisierungsverfahren zugunsten russischer Firmen eingegriffen haben und er soll außerdem über Mittelsleute veranlasst haben, dass das St. Petersburger Verbrechersyndikat "21. Jahrhundert" in Litauen ungehindert seinen Geschäften nachgehen kann.
Tatsache ist jedenfalls, dass um Litauen ein verborgener aber umso heftigerer Kampf der Geheimdienste tobt. Der Nato- und baldige EU-Neuling Litauen soll zu einem operativen Stützpunkt des russischen Militärgeheimdienstes GRU ausgebaut werden. Dass erst Ende Februar drei russische Diplomaten wegen Spionageverdachts aus Litauen ausgewiesen wurden, passt in dieses Bild. Ebenso, dass die russische Botschaft in Litauen über einen gleich hohen Personalstand verfügt wie jene in London. Die Hälfte der russischen Diplomaten soll sich in Wirklichkeit in geheimer Mission in Litauen aufhalten.
Doch nicht nur die GRU zeigt lebhaftes Interesse an. Auch die CIA ist bemüht, ihren Einfluss in dem kleinen baltischen Land zu sichern. Zumindest von russischer Seite wird die Paksas-Affäre daher als ein von Amerika gesteuerter Versuch gesehen, russischen Interessen im Baltikum zu schaden. Es gebe einen amerikanischen Masterplan, um den Einfluss Russlands in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu minimieren, ist etwa der Publizist der Zeitung "Kommersant" Leonid Gankin überzeugt: "Die Machtübernahme durch prowestliche Kräfte in Georgien, die Ablehnung des russischen Friedensplans für Moldawien, das Impeachmentverfahren gegen den russlandfreundlichen litauischen Präsidenten, all das zeigt: Russland wird planmäßig aus seinen einstigen Einflussgebieten verdrängt."
Für gute Verbindungen von Paksas nach Moskau hat vor allem ein Mann gesorgt: Juri Borisow, ehemaliger Major der Sowjetarmee, Geschäftsmann, Waffenhändler und Doktor der Psychologie, dessen Promotionsarbeit ausgerechnet das Thema hatte: Möglichkeiten, Politiker zu korrumpieren. Borisow war 2003 der Hauptfinancier der Paksas-Wahlkampagne. Mindestens eine Million Dollar hat der Russe in den Wahlkampf von Paksas gepumpt.
"Gönner" des Präsidenten
Borisow ist jedenfalls der Mann, der in Litauen jetzt eine veritable Staatskrise ausgelöst hat: Vergangene Woche musste Paksas öffentlich eingestehen, dass er Borisow erneut in sein Beraterteam berufen wollte. Auf heftige Kritik hin machte er den Entschluss wieder rückgängig. Verständnis für die merkwürdige Vorgangsweise Paksas' hat in Litauen kaum jemand: Ministerpräsident Algirdas Brazauskas sprach davon, dass die "Grenzen der Logik" überschritten seien. Selbst Paksas-Unterstützer waren geschockt und mutmaßten einen "Aussetzer" des Präsidenten. Drei wichtige Berater warfen das Handtuch und erklärten ihren Rücktritt. Denn Borisow hatte von Paksas im Gegenzug für die gewährte finanzielle Unterstützung ehrenhalber die litauische Staatsbürgerschaft erhalten. Was verfassungswidrig sei, wie Litauens Gerichte meinen. Jedenfalls laufen gegen den Russen staatsanwaltschaftliche Erhebungen für ein Ausweisungsverfahren.
Paksas selbst gab sich nach dem Auffliegen der Affäre zerknirscht und bat seine Landsleute via TV um Vergebung. Über eventuelle Rücktrittspläne sagte Paksas nichts. Die Opposition spricht jedenfalls von "psychischen Problemen" des Präsidenten und fordert eine beschleunigte Amtsenthebung.
Klar ist jedenfalls: Als "Paksasgate", wie die Affäre um den Präsidenten in Litauen genannt wird, im Spätherbst 2003 explodierte, blieb Borisow Paksas treu und organisierte den Gegenangriff: Bald nach dem Bekanntwerden der ersten Vorwürfe flatterte eine Gratiszeitung in die Postkästen aller 900.000 litauischen Haushalte. "Retten wir die Demokratie" war ihr Titel. "Die Stunde X hat geschlagen, der nächste kannst Du sein", hieß es auf der ersten Seite, auf der die Impeachmentbemühungen gegen Paksas als Staatsstreichversuch des Geheimdienstchefs Mecis Laurinkus "enttarnt" wurden. Im Blattinneren war dann auch Hagiographisches über Paksas nachzulesen: "Als er zehn Jahre alt war, brachte Rolandas ein Buch über die Geschichte Litauens nach Hause. Lange dachte er über das Buch nach. Und immer wieder fragte er seine Eltern, warum die Menschen im Land nicht ihren Träumen entsprechend leben können, warum sie ihre Traditionen nicht pflegen dürfen, warum sie nicht in ihrer Muttersprache schreiben und lesen dürfen."
Briefkasten-Firma
Dass der Text an Stalinlobpreisungen der vierziger und fünfziger Jahre ebenso erinnert wie an die derzeit in Russland so häufigen Putinhymnen ist kein Zufall: Die gesamte Postille wurde in Russland produziert. Und auch den Wahlkampf des Präsidenten managte eine russische Firma, die PR Almax. Das Skurrile daran ist allerdings: In Moskau kennt niemand dieses Unternehmen, an der Adresse, an der es sich befinden sollte, öffnet keiner die Tür, das Telefon ist taub. "Für mich gibt es nur eine Erklärung dafür: Die PR Almax kann nur ein Deckmantel sein, etwa für einen unserer Geheimdienste", sagt ein russischer Insider aus der PR-Branche.
Über die Vorgänge in Litauen war die PR Almax auf jeden Fall stets hervorragend informiert. In dem inzwischen publik gewordenen Strategie-Dossier, das sie für den Paksas-Wahlkampf vorbereitete, war nicht nur vom den Stärken des russlandfreundlichen Kandidaten die Rede, das Papier zählte auch seine weniger gloriosen Seiten auf: Paksas könne keine Fremdsprachen, er sei überdies dem Alkohol durchaus zugetan und er pflege bei häuslichen Meinungsverschiedenheiten ab und zu handgreiflich zu werden.
Mag sein, dass all diese Punkte von Jurij Borisow hineinreklamiert wurden, der sich für später die Möglichkeit offen halten wollte, Paksas zu erpressen. Denn wie "Paksasgate" zeigte, wollte Borisow nach der geglückten Wahl überaus reich entlohnt werden. In den Abhörprotokollen der Telefongespräche zwischen Paksas und Borisow ist nachzulesen, wie der Geschäftsmann den Präsidenten mehrmals ermahnte, seine vor der Wahl gegebenen Versprechen zu halten: "Sonst bist du politisch ein toter Mann."
Ämter und Orden
Diese Versprechen geben zumindest Hinweise darauf, warum Paksas auch jetzt nicht von seinem russischen Gönner lassen wollte oder konnte: Als ermittelnde Beamte einen Computer von Borisow durchforsteten, fanden sie auf der Festplatte zwanzig Forderungen des Russen an Paksas gespeichert: Borisow wollte präsidialer Chefberater und zum General der litauischen Armee ernannt werden, später auch das Amt des Premiers übernehmen. Des weiteren wünschte er sich das Recht, litauische Staatsorden an seine ausländischen Geschäftspartner zu verleihen. Auch Privates kam in dem Dokument zur Sprache: So sollte sich Paksas verpflichten, mindestens zwei Mal in der Woche mit Borisow zum Tennis zu gehen und überdies an allen großen Familienfeierlichkeiten des Borisow-Clans als Aufputz teilzunehmen.
Wenn Paksas nun über seine Kontakte zu Borisow und Co stolpert, so muss dass dennoch nicht das Ende seiner politischen Karriere bedeuten. In letzten Umfragen liegt er trotz allem vor anderen potentiellen Kandidaten für das Präsidentenamt auf Platz eins. Und in Litauen gibt es derzeit kein Gesetz, dass es einem des Amtes enthobenen Präsidenten verbietet, bei Neuwahlen anzutreten.