![Eine Illustration einer Frau mit Kopftuch.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/a87666ab3f/wz_podcast_header_fatima_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
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"Das ist doch eine Jahrhundertchance, die kann sich doch Wien nicht entgehen lassen · das letzte intakte Ringstraßenpalais · das ist doch zu schade für Büros," die Historikerin und
Bestsellerautorin Brigitte Hamann kämpft leidenschaftlich dafür, dass im Palais Epstein nach dem Auszug des Stadtschulrats im Jahr 2001 nicht eine Zweigstelle des unmittelbar benachbarten Parlaments
eingerichtet wird, sondern eine internationale Begegnungsstätte, "kein Museum!" · Hamann weiß, dass im Feber 1999 der Nationalrat einstimmig das Palais für parlamentarische Zwecke für sich reserviert
hat, aber bis zu dessen Nutzung nach Adaptierungsarbeiten, frühestens 2003 kann doch über Alternativen nachgedacht werden. Warum sie das Palais Epstein so einmalig findet, hat sie in einem Artikel
für die Zeitschrift "Jüdisches Echo" geschrieben und hält darüber im Palais am 1. Dezember 1999 einen Vortrag. Hamann ist bekannt dafür, Details aus Österreichs Geschichte zu recherchieren, die
bisher noch nicht, oder noch nicht so genau, aber vor allem nicht so spannend beschrieben wurden.
Sie trägt ihre Forschungsergebnisse über das Palais Epstein im Tanzsaal des Palais Epstein vor. Sie klärt ihr Publikum auf, dass über ihren Köpfen die Deckengemälde mit den vollbusigen Musen vom
Maler Christian Griepenkerl stammen, jenem Professor, der Adolf Hitler bei der Aufnahmsprüfung in die Malerakademie in Wien zweimal durchfallen ließ 1908 und 1909. "Und stellen Sie sich vor, 1938
saßen hier unter diesen Griepenkerl-Gemälden auch die Nationalsozialisten vom Deutschen Bauamt und hatten keine Ahnung davon".
Aber dann erzählt sie dem Publikum die Geschichte des Palais Epstein etwas chronologischer, frei nach ihrem Artikel, der in der Zeitschrift "Jüdisches Echo" erschienen ist. Der Chefredakteur des
Jüdischen Echos, Leon Zelman, hat bewusst in das Palais eingeladen. Zelman ist auch Chef des Yewish Welcome Service in Wien. Er hofft immer noch, dass dieses Palais als letztes intaktes Baudenkmal
jüdischen Großbürgertums und Mäzenatentums für eine internationale Begegnungsstätte umgewidmet wird.
Historische Magie
Brigitte Hamann spricht "von der Magie des historischen Ortes". Für sie ist das Palais Epstein etwas ganz besonderes. Vom Kunstmäzen Epstein beauftragt, baute Theophil Hansen und der junge Otto
Wagner das Haus noch vor dem Parlament an die Wiener Ringstraße 1868 bis 1871. Juden wurden in der Monarchie erst 1867 mit den Bürgern gesetzlich gleichgestellt und durften zuvor auch in Wien keinen
Grundbesitz haben.
Nach der Schleifung der Befestigungsanlagen entstanden die Prachtbauten am Ring. Finanziert wurden die öffentlichen Prachtbauten Parlament, Rathaus, Universität, Oper, Burgtheater und Museen durch
überteuerten Verkauf von Ringstraßenparzellen an Private. Käufer waren Bankiers und Großhändler, die meisten davon Juden. Für sie bedeutete der Besitz eines Ringstraßenpalais auch gesellschaftliche
Anerkennung.
Gustav Ritter von Epstein (1828 bis 1879) hatte bis 1854 die väterlichen Baumwollfabriken in Böhmen geleitet und sich in Wien aber ganz auf das Bankgeschäft konzentriert. Neben der Leitung seiner
Bank hatte er auch einflußreiche Positionen im Banken und Börsewesen. Epstein spendete nicht nur eine hohe Summe für die leeren Staatskassen, hatte doch Kaiser Franz Josef Kriege geführt und
verloren, Epstein spendete auch für kleine Leute: Im Bankhaus wurde ein eigener Schalter eingerichtet und an Soforthilfe für Bedürftige jährlich rund vier Mill. Schilling verteilt. 1871 übergab der
kränkelnde Epstein die Bankleitung den Prokuristen und widmete sich seiner Kunstsammlung. Sein Salon wurde zum Treffpunkt von Künstlern und Kunstkennern. Am 10. Mai 1873 nach dem Misserfolg der
Weltausstellung krachte die Wiener Börse. Auch ein Kassier des Bankhauses Epstein hatte sich privat verspekuliert und versucht, seine Riesenschulden aus Epsteins Kasse zu bezahlen. Der Kassier bat in
einem Abschiedsbrief Epstein um Verzeihung und sprang aus dem vierten Stock des Hauses nachdem das Seil, woran er sich aufhängen wollte, gerissen war.
Epstein zahlte für alle Spekulationen seiner Angestellten und verlor sein gesamtes Vermögen. Er vermied dadurch den Konkurs seines Bankhauses, das "in Ehren" geschlossen wurde. Nach seinem Tod wurde
das Haus 1879 an eine private Gasbeleuchtungsanstalt verkauft. 1902 zog der Verwaltungsgerichtshof ein, 1922 der Wiener Stadtschulrat, 1938 bis 1945 das Reichsbauamt, 1945 bis 1955 die
Zentralkommandatur der sowjetischen Besatzungsmacht und nach der Renovierung 1958 wieder der Wiener Stadtschulrat.
Vor dem Palais Epstein zogen die Demonstrationen über die Ringstraße gegen die Teuerung, gegen Hunger, Wohnungsnot, Untätigkeit des Parlaments, die Ausrufung der Republik in unmittelbarer Nähe vor
dem Parlament und vom Balkon des Palais Epstein sieht man direkt auf den Balkon zum Heldenplatz, wo Hitler am 15. Märu 1938 den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich verkündete. Hamann
beschwört die "Magie des historischen Ortes". Auch wenn bisher die Büros des Stadtschulrates im Palais einquartiert waren, durch den Auszug könnte ein neues Nutzungskonzept in diesem Haus mit
Geschichte verwirklicht werden.
Palais-Restaurant
Nach dem Auszug des Wiener Stadtschulrats im April 2001 will das Parlament ins Palais. Parlamentsvizedirektor Sigurd Bauer hat bereits ein Raumnutzungskonzept in Auftrag gegeben. Im Erdgeschoss
soll ein Restaurationsbetrieb installiert werden, die Räume der Beletage wie bisher für Vorträge genutzt und die Stockwerke darüber für Abgeordneten- und Mitarbeiterbüros verwendet werden. Rund 7000
m² Bürofläche sind bisher außerhalb des Parlaments angemietet worden. Die rund 3.500 m² des Palais Epstein können nicht den gesamten Raum-Zusatzbedarf des Parlaments abdecken, aber die Büros sind
dann in einer Gehminute vom Parlament aus schneller zu erreichen als die rund zehn Gehminuten entfernten Büros in der Schenkenstraße. Geschätzte Adaptierungskosten: 150 Mill. Schilling. Wie kam es zu
dieser Entwicklung?
Besiedelungspläne
Am 23. Juli 1998 forderte FPÖ-Klubobmann Ewald Stadler Nationalratspräsident Fischer auf, unverzüglich in Verhandlungen mit Wirtschaftsminister Farnleitner zu treten, um diesen zu veranlassen, die
Räumlichkeiten des Palais Epstein dem Parlament zur Verfügung zu stellen. Durch den geplante Auszug des Stadtschulrats könnte der Raumbedarf des Parlaments gedeckt werden.
Im September 1998 informierte Nationalratspräsident Fischer, dass der Rechnungshof die Umsiedelungspläne ins Palais Epstein unterstützt, wenn gleich große Mietflächen woanders eingespart werden
können.
Seit Beginn der Debatte um das Palais Epstein schlägt Leon Zelman vom Jewish Welcome Service vor, ein "Haus der Geschichte" oder ein "Haus der Toleranz" im Ringstraßenpalais einzurichten. Das Haus
hat für Zelman Symbolcharakter für das jüdische Großbürgertum und Mäzenatentum der Ringstraßenepoche, die "goldene Zeit," in der Wien durch jüdische Intelektuelle und Künstler Weltgeltung erreichte,
eine Epoche, die Wien heute gerne vermarktet. Das Palais soll kein Museum sondern ein Ort der Begegnung werden, so Zelman. Seine Idee wird vom Politologen Anton Pelinka und Verkehrsminister Caspar
Einem unterstützt, die sich um eine Präzisierung des Projekts bemühen wollen.
Gegen den Auszug des Stadtschulrats und gegen den Einzug des Bundesrats in das Palais Epstein argumentiert SPÖ Wissenschaftssprecher Erwin Niederwieser. Er bezweifelt, dass der Bedeutungsverlust des
Bundesrats durch Raumgewinn im Palais Epstein behoben werden kann. Die Bundesländer werden nicht mehr hauptsächlich durch den Bundesrat sondern durch die Landeshauptleutekonferenz oder durch die
Fachregierungsmitglieder vertreten. Niederwieser empfiehlt, die Bundesverfassung aktuell umzubauen, als um viele Millionen ein altes Palais umzubauen.
Prompt verteidigte Bundesratspräsident Gerstl die Übersiedelungspläne und meinte die Kreativität des Bundesrates sei auch durch Raumnot und fehlende Infrastruktur begrenzt.
Auch der Präsident des Stadtschulrats will nicht den Bundesrat im Palais Epstein einquartiert sehen, sondern lieber hier bleiben und nicht in die frei gewordenen Räume des Niederösterreichischen
Landesschulrates in die Wipplingerstraße ziehen. Das wäre kostengünstiger · außer ein privater Bieter kaufe das Palais. Hat doch der Rechnungshof den Wert des Gebäudes auf 150 bis 200 Mill. Schilling
geschätzt.
18. September 1998: Der Dritte Präsident des Nationalrats, der Freiheitliche Wilhelm Brauneder, schlägt vor, im Palais Epstein ein Parlamentsmuseum einzurichten. Motto: Österreichs Parlamentarismus
kann sich sehen lassen.
Am 19. November 1998 soll der Ministerrat die Übertragung des Palais Epstein an die Bundesimmobiliengesellschaft beschließen, aber Minister Einem verzögerte den Fünf-Parteien-Antrag, da er statt des
Parlaments im Palais Epstein lieber das Dokumentationsarchiv und die EU-Beobachtungsstelle für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit einquartieren möchte. ÖVP Klubobmann Khol will lieber das Parlament
im Palais Epstein sehen, ein "Haus der Geschichte" im Arsenal und ein "Haus der Toleranz" im Palais Rasumovsky ansiedeln. Bundeskanzler Viktor Klima "ersucht" Nationalratspräsident Fischer zu prüfen,
ob eine Doppelnutzung Parlament und Museum im Palais möglich ist.
Im dritten Versuch wird im Ministerrat am 10. Dezember 1998 Einigung erzielt, das Palais Epstein für parlamentarische Zwecke zu nutzen. Minister Einem ist an diesem Tag krank gemeldet. Ausdrücklich
wird festgehalten, dass andere geeignete Standorte für ein "Haus der Toleranz" geprüft werden sollen, Nationalratspräsident Fischer versichert, das Parlament tritt auch für ein "Haus der Geschichte"
ein. Im Nationalrat wurden am 23. Februar 1999 für die parlamentarische Nutzung des Palais die gesetzlichen Grundlagen einstimmig beschlossen.
Hausbaustudien
Die Idee Leon Zelmans, das Palais Epstein für eine internationale Begegnungstätte zu nutzen, inspirierte das Unterrichtsministerium eine eigene Studie herauszugeben "Haus der Geschichte der
Republik Österreich" (HGÖ). Auch das Wissenschaftsministerium veröffentliche die vorläufige Fassung einer Machbarkeitsstudie für ein "Haus der Toleranz".
Das Unterrichtsministerium will im Haus der Geschichte als Schwerpunkt sehen:
1918 bis 1938: 20 Jahre 1. Republik und Ständestaat
1938 bis 1945: 7 Jahre "Drittes Reich"
1945 bis 2000: 55 Jahre 2. Republik
Vier Bereiche sollen das historische Anliegen vermitteln:
a) Ausstellung und Museumsbereich,
b) Vernetzte Forschung,
c) Datensicherung
d) Kommunikation und Servicestelle.
Als Standort wird eine adaptierte Schule in der Schellinggasse 13, im ersten Wiener Gemeindebezirk in zwei Varianten vorgeschlagen, als dritte Variante ein Neubau auf dem Parkplatz vor dem Funkhaus
in der Argentinierstraße. Je nach Ausbauvariante soll das Gebäude 8.261 m² (Schellinggasse) oder 8.621 m² in der Argentinierstraße umfassen. Geschätzte Baukosten und laufender Aufwand bis 2009 rund
500 Mill. Schilling.
Für die Studie des Wissenschaftsministeriums "Haus der Toleranz" ist der Holocaust zentrales Thema. Aber auch aktuelle Konflikte sollen thematisiert werden. Politologe Anton Pelinka hat
internationale Einrichtungen in dieser Studie dargestellt und verglichen. Je nach Ausbauvariante soll das Haus ein Ausstellungszentrum, Bildungszentrum und Forschungszentrum enthalten und den
Besucher persönlich aktivieren. Die Bau- und Personalkosten werden von internationalen Beispielen abgeleitet und für einen 8.500 m² großen Neubau auf über 700 Mill. Schilling geschätzt. Das Palais
Epstein wäre billiger zu adaptieren.
Historikerin Hamann appelliert an die Verantwortlichen, derzeitige Pläne zu revidieren und das ganz besondere Palais Epstein als ganz besonderes Haus für Begegnungen zu öffnen. Sie fordert mehr
Sensibilität im Umgang mit der Geschichte.
· Postscriptum zum österreichischen Geschichtsbewusstsein: Der Stadtschulrat verwahrte jahrzehntelang im Palais Epstein die Archive der 1938 aufgelösten Wiener jüdischen Schulen. Bei Aufräumarbeiten
für den nahenden Umzug wurden diese Archive jüdischer Geschichte in Wien · vermutlich aus Unverständnis · weggeworfen.Õ
Ferdinand Krenn ist Mitarbeiter der ORF-Parlamentsredaktion