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Palästina-Verwalter auf verlorenem Posten

Von WZ-Korrespondent Andreas Hackl

Politik
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Tritt schweres Politerbe an: Wissenschaftler Hamdallah.
© reu

Akademiker bringt keine politische Erfahrung mit, Hamas lehnt ihn ab.


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Tel Aviv. Auf den ersten Blick könnte die Ankündigung des neuen palästinensischen Ministerpräsidenten Rami Hamdallah kaum unbedeutender sein: Er wurde nicht demokratisch gewählt, war nie zuvor in einem hohen politischen Amt und ist international kaum bekannt. Noch dazu übernimmt er ein sinkendes Schiff.

Hamdallah ist ein Sprachwissenschaftler mit einem Doktortitel aus Großbritannien, der sich als langjähriger Präsident der palästinensischen Al-Najah-Universität im Westjordanland Anerkennung als unabhängige Führungspersönlichkeit aufgebaut hat. "Präsident Abbas hat mich gebeten, eine neue Regierung zu bilden. Ich habe das angenommen", erklärte der 55-Jährige. Viel mehr gab es wohl auch nicht zu sagen. Sein Misserfolg scheint angesichts vieler tief sitzender Probleme vorprogrammiert. Die israelische Zeitung "Haaretz" nannte ihn am Montag "einen guten Mann auf Selbstmordmission."

Allem voran tritt Hamdallah ein schweres Erbe an. Er löst den von westlichen Politikern gelobten ehemaligen Weltbank-Ökonomen Salam Fayyad ab, der im April seinen Rücktritt erklärte, nachdem er zunehmend zum Ziel palästinensischer Machtkämpfe wurde. Nach seiner Ernennung im Jahr 2007 rationalisierte Fayyad die Geschäfte der Palästinensischen Autonomiebehörde und setzte auf die Doktrin "Staatsaufbau ohne Staat" - die Palästina durch den Aufbau von Institutionen langfristig bereit für die Unabhängigkeit machen sollte. Doch die Realität holte ihn ein: der gescheiterte Friedensprozess, die anhaltende israelische Besatzungspolitik und eine tiefe Schuldenkrise in der von Hilfsgeldern abhängigen Regierungsbehörde ließen seine Doktrin zum Trugbild werden. In der eigenen Bevölkerung fiel Fayyad nicht zuletzt wegen seinen harten Sparmaßnahmen in Ungnade. Weil er international aber als sauberer Bürokrat beliebt war, dürfte sich der Mangel an Hilfsgeldern in der Regierung nun sogar verschärfen.

Die Probleme sind für Rami Hamdallah also keinesfalls weniger geworden: Der Großteil des Westjordanlandes bleibt weiterhin durch Israels Militär und rund 300.000 Siedler besetzt, der Schuldenberg wächst weiter. Und die jüngsten diplomatischen Bemühungen von US-Außenminister John Kerry in Richtung Friedensprozess scheinen bisher kaum Wirkung zu zeigen.

Eine Übergangslösung

So scheint Hamdallah bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt als Übergangslösung gehandelt zu werden. "Was wir sehen, ist als Kurzzeitregierung von weniger als drei Monaten zu werten", sagt der ehemalige palästinensische Präsidentschaftskandidat Mustafa Barghouti. "Seine Ernennung wird kaum Einfluss haben."

Damit meint er vor allem den "Einfluss" auf den seit Jahren stockenden Versöhnungsprozess zwischen den rivalisierenden politischen Lagern Hamas und Fatah. Denn die Spaltung der Parteien greift nach wie vor tief. Sie besteht seit dem Jahr 2006, als die islamistische Hamas nach einem demokratischen Wahlsieg von der Fatah, Israel und der internationalen Gemeinschaft boykottiert wurde. Doch sie konnte im Folgejahr den Gazastreifen unter ihre Kontrolle bringen und regiert dort nach wie vor, und das zunehmend autokratisch, mit wenig Toleranz für politische Gegenstimmen. Gleichzeitig regiert auch die Fatah als stärkste Kraft im Westjordanland mit eiserner Faust. Mit Inhaftierungen und Folter ist sie vermehrt gegen Hamas-Anhänger vorgegangen und geht seit sieben Jahren demokratischen Wahlen auf nationaler Ebene aus dem Weg. Angesichts dessen ist fraglich wessen "Ministerpräsident" Hamdallah eigentlich sein soll.

Dennoch glaubt Barghouti, dass es in spätestens drei Monaten im Zuge einer Aussöhnung zwischen den Parteien und damit zu einer neuen "Einheitsregierung" kommen könnte. Das würde einen neuen Ministerpräsidenten nötig machen, der von Hamas und Fatah unterstützt wird. Hamdallah erfüllt diese Kriterien offenbar nicht, denn sofort nach seiner Ernennung wurde er von einem Sprecher der Hamas kritisiert. Abbas hätte das Versöhnungsabkommen implementieren sollen, das zuvor in Kairo beschlossen wurde, anstatt im Alleingang einen neuen Ministerpräsidenten aufzustellen, so der Sprecher. Die Hamas kritisierte die Ernennung von Hamdallah sogar als "illegal".