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Palliativmediziner Likar: "Autonomie ist das höchste Gut"

Von Simon Rosner

Politik

Die Bedingungen für Palliativcare bei Covid-Patienten sind schwierig. Doch was wollen diese überhaupt? Eine Nachfrage.


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Bis Freitag sind 431 Menschen an Covid-19 gestorben. Fast alle von ihnen waren sehr alt und/oder sehr krank. Der Intensivmediziner Rudolf Likar hat einige von ihnen behandelt, auch palliativmedizinisch. Er sagt: "Wir müssen lernen, auch die Risikogruppen zu fragen, was sie vom Leben wollen."

"Wiener Zeitung": Was heißt Palliativcare und an wen richtet sich diese?

Rudolf Likar: Es richtet sich an unheilbar Kranke. Die Betreuung ist umfassend, von medizinischer, pflegerischer, spiritueller, sozialer und psychologischer Seite.

Was wird dabei medizinisch noch gemacht?

Medizinisch noch sehr viel. Das heißt, man bekämpft die Symptome, die die Menschen beeinträchtigen. Das kann Übelkeit sein oder Schmerzen oder auch Angst.

Welche Symptomatik zeigt sich bei sterbenden Covid-Patienten?

Die Angst kommt vor. Und ein Symptom ist auch Atemnot, die man entsprechend bekämpfen muss. Bei Covid-Patienten, die in Richtung Palliativcare gehen, gibt es meistens andere schwere Erkrankungen.

Covid ist eine neue Erkrankung. Weiß man schon genug, ab wann Unheilbarkeit vorliegt?

Nein, diese Erfahrung haben wir noch nicht. Aber Covid wird uns länger begleiten. Wir haben ja nur etwa unter ein Prozent Durchseuchung. Wir müssen schauen, wie wir in der Zukunft damit umgehen. Was wir schon bisher gelernt haben: In Pflegeheimen müssen die Hygienestandards erhöht werden. Und die Heime brauchen auch einen heimverantwortlichen Arzt, der mit den Menschen für den Fall einer Erkrankung das gewünschte Vorgehen bespricht: Wollen sie überhaupt eine Therapie? Wollen sie ins Krankenhaus? Das nennt sich Vorsorgedialog. Das muss man besprechen und verhindern, dass die Menschen in ihrer letzten Lebensphase ins Krankenhaus gezerrt werden, wenn sie das nicht wollen. Die Autonomie des Betroffenen ist das höchste Gut.

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Der physische Kontakt wird in der Palliativmedizin als wichtig beschrieben. Nun kommt völlig verhülltes Personal, kaum ein Mensch ist dahinter zu erkennen. Welche Herausforderungen gibt es da in der Palliativcare?

Das ist das Traurige, aber um das kommt man nicht herum. Die Zuwendungsmedizin, das Angreifen wird weniger in der Phase. Der Eigenschutz geht vor. Es hat auch keinen Sinn, auf Schutz zu verzichten, weil man ja auch andere gefährdet.

In den Pflegeheimen gibt es auch Besuchsverbote, wie ist das im Spital?

Das Schlimmste ist, wenn die Menschen in der letzten Phase keinen Besuch mehr erhalten. Das muss man ermöglichen, da hat man teilweise überzogen bei den Besuchsverboten. Wenn ein Mensch im Krankenhaus im Sterben liegt, und es gibt ja nicht nur Covid-Patienten, dann muss ich doch ein, zwei Besucher hineinlassen zur Verabschiedung. Ich habe das getan in der Intensivstation. Natürlich mit Schutz, kein Angreifen, Distanz halten, aber man kann dennoch Abschied nehmen.

Was kann man sonst tun?

Was wir gelernt haben, ist auch der Einsatz von Telekommunikation. Wir waren da früher entschieden dagegen, weil man so weit weg von den Emotionen ist, aber ergänzend kann sie eingesetzt werden.

Es gibt eine Studie, wonach rund die Hälfte der Covid-Toten in Italien, Spanien, Belgien, Frankreich und Irland zuvor in einem Pflegeheim war. Daten aus Österreich gibt es nicht. Haben Sie eine Wahrnehmung dazu?

Nein. Wir hatten keinen einzigen Fall aus einem Heim. Die Heime haben sich isoliert, und das war auch positiv. Nur irgendwie muss man nun diese Schritte wieder langsam zurücknehmen.

In Pflegeeinrichtungen gibt es seit Wochen keinen Besuch mehr. Besteht die Gefahr, dass viele, die wir schützen wollen, ihren Lebenswillen durch die Isolation verlieren?

Das meine ich. Das hat keiner bedacht. Wir brauchen da andere, individuellere Lösungen.

Die Palliativmedizin ist noch recht jung, aber sie gewinnt an Bedeutung. Unser Blick auf die letzte Lebensphase hat sich verändert, die Autonomie der Patienten steht im Vordergrund. Hat sich das durch Covid verändert, wenn nun Sterbende noch beatmen werden?

Das haben wir nicht gemacht. Wir haben auch Ethikboards installiert, uns die Vorerkrankungen angesehen, die Wünsche des Patienten respektiert und dann entschieden. Diese Ethikboards sind auch für die behandelnden Ärzte eine Hilfe.

Hatten Sie Covid-Patienten, die aktiv eine Beatmung abgelehnt haben?

Ja, freilich. Wir hatten auch einen etwas jüngeren Patienten mit Lungenfibrose, dessen Lunge schon vorgeschädigt war und der nicht intubiert werden wollte und symptomenkontrolliert bei uns gestorben ist. Gegen den Willen des Patienten gibt es keine Therapie.

Sehr alte, kranke Menschen sind von Covid sehr gefährdet. Deshalb werden unglaubliche gesellschaftliche Anstrengungen unternommen, um sie zu schützen. Anderseits bleibt diesen Menschen oft ohnehin nur mehr wenig Zeit, und diese Zeit wollen sie nicht alleine und isoliert verbringen.

Da gebe ich Ihnen vollkommen recht. Es war eine gesellschaftliche Frage: Was sind uns die alten Menschen wert? In der Phase waren die Entscheidungen richtig. Aber man hätte individuell sensibler reagieren können, etwa bei Besuchsverboten in den Heimen. Wir werden die dadurch ausgelösten Angststörungen und Depressionen noch sehen.

Muss sich der Fokus ändern, der doch sehr stark auf die Zahlen von Covid-Toten gerichtet ist?

Ja, wir haben einige gehabt, die mit Covid gestorben sind, die aber auch an einem anderen Infekt gestorben wären. Wir müssen lernen, auch die Risikogruppen zu fragen, was sie vom Leben wollen und welche Wünsche sie haben.