Immer mehr Forschungsergebnisse geben die Perspektive, dass die Menschheit das Coronavirus zeitnah einbremsen kann.
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Endlich gute Nachrichten: Allmählich scheinen die strengen Maßnahmen zur Pandemiekontrolle zu wirken. Das Robert-Koch-Institut in Deutschland, das das öffentliche Leben etwas früher, aber weniger stark eingeschränkt hat als Österreich, bestätigte am Donnerstag erste Erfolge des Lockdowns: Die Fallzahlen haben sich auf hohem Niveau stabilisiert. Optimistischer noch zeigten sich der Complexity Science Hub in Wien. Laut dem Team um den Simulationsexperten Peter Klimek könnte hierzulande die Zahl der Corona-Neuinfektionen von 6.995 am Donnerstag auf täglich 1.000 bis 2.000 Anfang Dezember sinken.
Um einen neuerlichen Shutdown kurz nach Weihnachten zu vermeiden, müsste zwar bis dahin die Lernkurve zu den Präventionsmaßnahmen steigen. Doch der Rückenwind, den die jüngsten Forschungsergebnisse geben, wird immer stärker. Auch die Universität Oxford und ihr Partner Astra Zeneca könnten bald einen Impfstoff gegen Covid-19 auf den Markt bringen. Die britische Kooperation erwartet im Dezember Ergebnisse aus der entscheidenden Studie ihres Corona-Impfstoffs. Über die bisherigen Erkenntnisse sei man hocherfreut, sagte der Leiter der Impfstoffgruppe der Universität, Andrew Pollard, am Donnerstag.
Der britische Impfstoff werde insbesondere von Menschen ab dem Alter von 55 Jahren sehr gut vertragen, was den Risikogruppen Hoffnung gebe, erklärte Pollard. Zusammen mit seinen Kollegen berichtet er im Fachjournal "The Lancet", dass der Vakzin-Kandidat vielversprechende Ergebnisse unter älteren Erwachsenen über 70 Jahren erzielt habe. Das Vakzin erzeugte eine starke Immunantwort.
Impfung bald möglich
Astra Zeneca gehört neben der deutschen Biotechfirma Biontech mit ihrem US-Partner Pfizer und dem US-Konzern Moderna zum Kreis der führenden Unternehmen im Rennen um einen Covid-19-Impfstoff. Biontech/Pfizer waren in der vergangenen Woche die weltweit ersten Unternehmen, die erfolgreiche Daten aus der zulassungsrelevanten Studie mit einem Corona-Impfstoff vorgelegt hatten. Nach einer ersten Zwischenanalyse zeigte das Vakzin eine Wirksamkeit von mehr als 90 Prozent beim Schutz vor Covid-19.
Am Montag zog Moderna nach und verkündete, dass sein Impfstoff einen Schutz von 94,5 Prozent vor Covid-19 bietet. Moderna will in den kommenden Wochen ebenfalls eine Notfallgenehmigung in den USA beantragen.
Die gesammelten Ergebnisse lassen auf mindestens eine Impfung gegen Covid-19 im Laufe der ersten Hälfte des kommenden Jahres hoffen. Besonders gefährdete und exponierte Bevölkerungsgruppen sollen das Vakzin zuerst erhalten. Etwa Mitte 2021 könnten Gesamtbevölkerungen gegen die Infektion mit dem derzeit pandemisch grassierenden Erreger Sars-CoV-2 immunisiert werden.
Immunität hält länger an
Parallel gibt es immer mehr Indizien, dass Impfstoffe für eine lang andauernde Immunreaktion sorgen könnten und jährliche Auffrischungen möglicherweise gar nicht nötig sein werden. Immer mehr deutet darauf hin, dass die Immunität gegen Covid-19 länger anhält als angenommen.
Manche Infektionskrankheiten, wie etwa Masern oder die saisonale Influenza, merkt sich das Immunsystem. Bei etwaigen Neuansteckungen muss es quasi seine Waffen gegen das Virus nicht erst aufbauen, sondern sie einfach aus dem Schrank holen, weil es sie bereits vom letzten Mal parat hat. "Es ist von entscheidender Bedeutung, das Immun-Gedächtnis an Sars-CoV-2 zu verstehen, wenn wir die Diagnostik, die Impfstoffentwicklung und die Zukunft der Pandemie verstehen und die richtigen Strategien dagegen entwickeln wollen", betont ein Team um Jennifer Dan vom Zentrum für Infektionskrankheiten und Impfforschung vom La Jolla Institut für Immunologie im US-Staat Kalifornien. In einer Pre-Print-Studie haben Dan und ihr Team das Immungedächtnis an das Coronavirus an 185 Covid-Patienten getestet, die größtenteils nur leichte Symptome hatten. Von 41 Probanden wurden bis zu acht Monate nach der Ansteckung weitere Blutproben genommen.
Ergebnis: Immunzell-Typen verhalten sich unterschiedlich. Anders als in anderen Studien erwiesen sich hier die Antikörper als "haltbar". Ihre Anzahl sank selbst nach einem halben Jahr nur wenig und bei verschiedenen Testpersonen sehr unterschiedlich ab: Die höchste gemessene Menge an Antikörpern nach einem halben Jahr lag 200 Mal über der niedrigsten. Allerdings könnte dieses Phänomen laut den Forschern auf eine unterschiedlich hohe Virenlast in den Patienten zurückzuführen sein.
Auch die Menge der T-Zellen sank nur langsam ab. Und die B-Zellen wurden im Lauf des Untersuchungszeitraums von acht Monaten sogar mehr. Das Immungedächtnis, das diese beiden Zelltypen aufbauen, "könnte die große Mehrheit der Menschen viele Jahre lang vor schweren Krankheitsverläufen schützen", betont Studienautor Shane Crotty in der "New York Times".
Zuvor gab es zahlreiche Ergebnisse, die in eine andere Richtung deuteten. Einige Forschungsteams etwa berichteten von Zweitinfektion mit dem Coronavirus, eines davon aus Hong Kong konnte solche Fälle sogar dokumentieren. Anderen Studien zufolge nimmt die Menge der gegen das Coronavirus wirkenden Antikörper nach einer Infektion schnell ab. Wiederum andere Teams berichteten, dass viele Infizierte gar keine Antikörper bilden.
Antikörper sind aber nur ein Teil der Immunantwort. Die gesamte Immun-Reaktion lässt sich in etwa so skizzieren: Die infizierte Zelle stirbt ab und setzt Viruspartikel frei. Die Fresszellen vernichten die tote Zelle und schütten Zytokine aus, um Lymphozyten, T- und B-Zellen heranzurufen, weil diese Schlüssel für alle möglichen Situationen herstellen können. Die richtigen Schlüssel stellen sie dann millionenfach her, um die Eindringlinge zu vernichten. Es werden Antikörper gebildet, die das charakteristische Spike-Protein des Virus markieren, damit kein Erreger übersehen werden kann.
Herdenimmunität ist möglich
Wenn die Forscher recht behalten, dann merkt sich das Immunsystem nach getaner Arbeit, welche Schlüssel die richtigen sind, um Sars-CoV-2 zu Leibe zu rücken. Die Erinnerung bleibt auch noch dann, wenn Antikörper nicht mehr nachweisbar sind. Auch eine vergangene Woche in "Nature Medicine" erschienene Studie der Universität Freiburg bestätigt die Idee, dass das Immunsystem eine wehrhafte Armee von Soldaten über längere Zeiträume zurücklässt.
Wenn es eine oder mehrere Impfungen gibt und Immunität anhält, könnten sich übrigens die Hoffnung einer Herdenimmunität gegen Covid-19 doch noch erfüllen. Dann wäre die Pandemie so weit eingedämmt, immer weniger Menschen erkranken. Experten zufolge genügt eine Immunisierung von zwei Dritteln der Bevölkerung, um die weitere Verbreitung des Virus aufzuhalten.
Impfungen sollen zu diesem Ziel beitragen. Inwieweit dies tatsächlich gelingt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Etwa ist noch offen, wie stark die Verbreitung des Virus tatsächlich ist und ob sich eine Übertragung des Erregers mit den kommenden Vakzinen stoppen lässt oder dieses nur die Erkrankung verhindert. Weiters muss sich noch zeigen, wie viele Menschen sich tatsächlich immunisieren lassen und ob die Impfstoffe allen Menschen den gleichen Schutz bieten.
Kinder werden nicht krank
"Das Problem ist, dass wir momentan nicht wissen, wie schnell das Virus ohne Schutzmaßnahmen übertragen wird", erklärt der Immunologe Winfried Pickl von der Medizinischen Universität Wien. Darüber hinaus würde ein Impfstoff mit weniger als 100 Prozent Wirksamkeit eine entsprechend höhere Durchimpfung erfordern, um Herdenimmunität zu erreichen.
Zudem deuten bisherige Ergebnisse darauf hin, dass die ersten Impfstoffe auf dem Markt zwar eine Erkrankung mit Covid-19 verhindern, eine unbemerkte Weitergabe des Virus jedoch nicht. Die Immunologin Eleanor Riley von der Universität Edinburgh warnt, dass die Idee Herdenimmunität durch Covid-19-Vakzine wenig erfolgversprechend sein könnte. Ein besserer Ansatz sei, "Herdenimmunität auf den Kopf zu stellen", indem die ersten begrenzten Impfstoffvorräte zum Schutz der am stärksten Gefährdeten eingesetzt werden, ohne sich um die robusteren Mitglieder der "Herde" zu sorgen, die das Virus relativ problemlos wegsteckten. "Vergessen wir den Schutz der Massen, um die Verletzlichen zu schützen. Lasst uns die Verwundbaren direkt schützen", fordert Riley.
Ein neuer Fallbericht gibt wiederum Hoffnung auf anderer Ebene. So entwickelten die Kinder einer Familie im australischen Melbourne, obwohl sie selbst nicht an Covid-19 erkrankt waren, eine Immunantwort, nachdem sich ihre Eltern mit Sars-CoV-2-Virus infiziert hatten.
Die vom Murdoch Children’s Research Institute geleitete und in "Nature Communications" veröffentlichte Studie zeigte, dass die Kinder trotz des engen Kontakts mit den kranken Eltern wiederholt negativ auf Covid-19 getestet wurden und auch keine Symptome zeigten. Es könnte möglich sein, dass das kindliche Immunsystem die Vermehrung des Virus in den Zellen stoppen kann.