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Experte: "Dieser Fehler hätte nicht passieren dürfen." | Helga Kromp-Kolb: Kollege hatte darauf aufmerksam gemacht. | Wien. "Mich hat das nicht sonderlich berührt", sagt die Wiener Klima-Expertin Helga Kromp-Kolb, von der "Wiener Zeitung" angesprochen auf einen gravierenden Fehler im vierten Bericht des Weltklimarates IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), der heftige Debatten in der Fachwelt ausgelöst hat: "Wo Menschen am Werk sind, passieren Fehler. Schon aus dem nächsten Absatz ging hervor, dass hier etwas irrtümlich hineingeraten ist. Hätte man diesen Teil des Textes wirklich ernst genommen, hätte er auch Eingang in eine der vielen Zusammenfassungen des Berichts gefunden, das war aber nicht der Fall."
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Stein des Anstoßes war ein Absatz im IPCC-Weltklimabericht von 2007, in dem prognostiziert wird, dass im Himalaya viele Gletscher bis zum Jahr 2035 verschwinden könnten und dass die Gesamtfläche in den nächsten Jahren voraussichtlich von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer schrumpfen werde. Dabei hatte man, offenbar ohne Nachprüfung, eine Aussage der Umweltstiftung WWF übernommen.
Im Fachmagazin "Science" haben nun Experten die Fehlleistung analysiert und herausgefunden, dass schlicht und einfach einige Zahlen durcheinander gekommen sind. Ein russischer Forscher hatte 1996 bis zum Jahr 2350 - nicht 2035! - ein Abtauen der Gletscher von 500.000 auf 100.000 Quadratkilometer prognostiziert. Diese Arbeit bezog sich allerdings auf die weltweiten Eisströme, nicht speziell auf den Himalaya, denn dieser umfasse nur rund 33.000 Quadratkilometer Gletscher, heißt es in der "Science"-Analyse.
"Dieser Fehler hätte nicht passieren dürfen", sagt Ottmar Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), der an einem Teil des Berichts mitgewirkt hat. "Wir haben ja mehrere hundert Experten, die das geprüft haben, und das ist immer durch die Lappen gegangen."
Helga Kromp-Kolb, die an der Wiener Universität für Bodenkultur arbeitet, betont, sie wisse verlässlich, dass einer dieser Experten, der Innsbrucker Geograf Georg Kaser, rechtzeitig auf den Fehler aufmerksam gemacht habe, aber offenbar ohne Erfolg: "Das Hauptproblem ist, dass zwischen den Arbeitsgruppen zu wenig Wechselwirkung besteht."
Polareis: Lage noch dramatischer geworden
Im Idealfall sollten zuerst die Klimatologen ihre Szenarien darstellen, dann die Impact-Leute die Auswirkungen analysieren und dann die Wirtschafts- und Sozialwissenschafter dazu Stellung beziehen, in der Praxis erfolge aber die Arbeit der Gruppen parallel, was zu Fehlern führen könne. Aus Sicht von Kromp-Kolb ist der IPCC-Bericht aber im Wesentlichen in Ordnung, wobei sie nicht ausschließt, dass er auf seinen mehr als 2000 Seiten noch andere kleine Fehler enthält. Er sei oft, insbesondere beim Kapitel über Grönland, extrem vorsichtig, beim Schmelzen des Polareises verlaufe die Entwicklung laut neuesten Forschungen dramatischer, als es der Bericht darstellte.
Natürlich, so Kromp-Kolb, werde die Debatte um diese Panne dem Image des IPCC schaden, denn es gebe Menschen, die sich mit den Ergebnissen der Klimaforschung nicht auseinander setzen oder daraus Konsequenzen ziehen wollen. Dass ein Text des WWF in den Bericht geraten sei, findet sie "ungewöhnlich, sonst wird in der Regel nur Fachliteratur zitiert".
Dass Fehler passieren können, räumt auch der Hamburger Klimaforscher Hans von Storch ein. Wenn ein grober Fehler trotz Durchlesens des Rohberichtes durch Experten stehen bleibe, sei das allerdings "katastrophal, wenn man bedenkt, was die Aufgabe des IPCC ist - nämlich glaubwürdiges Wissen bereitzustellen." Edenhofer betont, der IPCC arbeite normalerweise sehr sorgfältig. Das zeige schon die Tatsache, dass in 20 Jahren nun erstmals ein grober Fehler aufgetaucht sei.
"Die Standards deutlich anheben"
Uneinig sind sich die Experten darüber, ob Quellen wie der WWF überhaupt Eingang in Berichte des Klimarates finden sollten. Von Storch meint, Material interessengeleiteter Organisationen müsse tabu sein. Sonst könnten auch Berichte von Ölkonzernen ausgewertet werden. "Aber wenn das der Fall wäre, würde es einen Aufschrei geben."
Edenhofer sieht das nicht so: "Das Problem ist nicht, dass solche Organisationen zitiert werden, sondern womit." Die Aufgabe der IPCC-Autoren sei es gewesen, die Angaben anhand der Originalstudie zu überprüfen. "Wir müssen die Standards da deutlich anheben."