Spinnenseide ist ein erstaunliches Material: Fünfmal so reißfest wie Stahldraht, bis um das 300-Fache dehnbar und biologisch abbaubar. Das macht jeden Techniker neidisch.
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Möchten Sie Ihr eigenes Briefpapier selbst schöpfen? Oder einmal eine Gitarre spielen, die statt Saiten Laserstrahlen hat? Oder haben Sie die Materialeigenschaften von Spinnenseide neugierig gemacht, die jedes künstliche Gewebe in den Schatten stellen?
Das Deutsche Technikmuseum Berlin bietet überraschende Einblicke in die Kulturgeschichte der Technik, jene Nahtstelle zwischen Geist und Natur, mit der wir uns "die Erde untertan" machen. Unweit des Potsdamer Platzes am Landwehrkanal macht es durch ein Flugzeug am Dach von weitem auf sich aufmerksam: Einer der amerikanischen "Rosinenbomber", die dem von allen Seiten blockierten West-Berlin das Überleben sicherten.
Am "Gleisdreieck" - auf dem Gelände eines ehemaligen Güterbahnhofs - stehen dem Technikmuseum nicht weniger als 26.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Der große Museumspark mit Wind- und Wassermühlen, Schmiede sowie Brauerei ist eine Naturoase inmitten der Großstadt.
Obwohl erst 1983 eröffnet, hat es sich rasant entwickelt und zählt heute zu den führenden europäischen Technikmuseen. Außer dem Kernbereich umfasst es das "Science Center Spectrum", das süßeste Museum der Welt, das "Zucker-Museum", eine Sternwarte sowie das Zeiss-Großplanetarium.
Ein besonderer Publikumsmagnet ist natürlich das "Spectrum" mit seinen 250 interaktiven Experimentierstationen. Hier können Besucher physikalische Phänome entdecken, wie etwa die Rotografie: Eine rasch rotierende Scheibe gaukelt dem Auge zusammenhängende Linien und Muster vor. Man kann sich auch selbst durch das Auge einer Thermografiekamera betrachten. Insgesamt zählt das Museum jährlich eine halbe Million Besucher.
Das Besondere daran ist der Bezugsrahmen, die Menschheitsgeschichte, ohne die Wissenschafts- und Technikgeschichte nicht verstehbar sind. Der Bezug zum Alltag, der Einfluss der Technik auf die Gesellschaft wird erfahrbar, etwa in der "Lebenswelt Schiff", wo man erfährt, wie der Wandel vom Segel- zum Dampfantrieb das Leben an Bord verändert hat. Die Medienstation "Mensch und Krieg" zeigt anhand von sechs Biografien die Lebenswege ehemaliger Luftwaffenangehöriger.
Aufbauend auf rund hundert technischen Sammlungen des alten Berlin - etwa Luftfahrt-Sammlung, Verkehrs- und Baumuseum oder Museum für Meereskunde - wurden reiche Schätze zusammengetragen, wie beispielsweise 40 Schienenfahrzeuge im Original auf 34 Gleisen des einstigen Bahnhofs oder der erste Computer der Welt.
Der neueste Hit ist die Ausstellung zur Papiertechnik. In den historischen Futterkrippen des ehemaligen Pferdestalls können Kinder ab acht Jahren selbst Papier schöpfen. Zwölf Bilder aus dem Rasterelektronenmikroskop bieten Einblick in die Welt der Textil- und Papierfasern, Papierhäuser von Wespen sowie die oben erwähnte Spinnseide der Gartenkreuzspinnen.
Der nächste Bauabschnitt ist bereits geplant: Der ehemalige Güterbahnhof wird Zug um Zug in ein neues Museumsquartier - das "Technoversum" - verwandelt. In den alten Lagerschuppen, die einst die "Ladestraße" für den Güterverkehr bildeten, entstehen die Erweiterungsbauten für das Deutsche Technikmuseum entstehen, die Ausstellungsfläche wird verdoppelt.
Hier soll auch konzeptionell Neuland betreten werden: Im Zentrum stehen sechs Foren - der Mensch, der Weg, der Markt, das Netz, das Haus, der Speicher. Sie sind der Beziehung zwischen Mensch und Technik gewidmet - ein wahrhaft prometheisches Unterfangen.
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