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"Pappkamerad Merkel" zu Tisch mit einem Aufsässigen

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Chinesischer Dissident wollte mit deutscher Kanzlerin reden - und fertigte Puppe an.


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Peking. Der China-Besuch der deutschen Kanzlerin Angela Merkel ist am Freitag mit einem Besuch der Hafenmetropole Tianjin südöstlich von Peking zu Ende gegangen. Begleitet vom chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao stellte sie sich dort einer Diskussionsrunde mit Wirtschaftsvertretern aus beiden Ländern.

Einer, der gerne auch mit ihr gesprochen hätte, konnte nicht, da er zu jenem Zeitpunkt in der Hauptstadt Peking unter Hausarrest stand. Die Rede ist vom chinesischen Künstler Ai Weiwei, der erst im Frühjahr 81 Tage lang von Sicherheitsbehörden festgehalten wurde und dann unter anderem mit einer Millionenklage wegen Steuerhinterziehung überzogen wurde. In den Hausarrest entlassen wurde er damals nicht zuletzt durch das Engagement Deutschlands. Dafür wollte sich Ai persönlich bei Merkel bedanken, wie er der "Bild"-Zeitung sagte: Die Kanzlerin sei bei vergangenen Besuchen in seinem Land "sehr hilfreich und sehr besorgt" gewesen, er "respektiert sie sehr." Allerdings machte er sich wenig Hoffnungen, da sie "wahrscheinlich ihre Verpflichtungen" habe.

Am Donnerstag jedoch stellte der Künstler ein Bild auf Twitter online, das ihn mit der deutschen Kanzlerin in seinem Atelier zeigt. Beide lächeln in die Kamera, Merkel in schwarzer Hose und rotem Blazer, Ai wie gewohnt mit Turnschuhen und einem verwaschenen Hemd. Allerdings: Bei der vermeintlichen Kanzlerin handelt es sich um eine Pappfigur, der ironische Untertitel des Fotos lautet "Merkel zum Mittagessen ausführen".

Ai verwies in seinem Blog nochmals auf ein Interview, in dem er an Kanzlerin Merkel appellierte, bei ihrer China-Reise auch Themen wie Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit zu diskutieren. "Wir wollen kein kriecherisches Deutschland sehen", sagte er. Die Probleme in China dürften nicht vergessen werden, auch wenn die Deutschen kämen, um Geschäfte zu machen. "Seine Rechte wahrnehmen zu können, die Meinungsfreiheit und das Recht, informiert zu sein, sollten für jeden Bürger in jedem Land respektiert werden."

Dürre Erklärung

Teilweise ist Angela Merkel diesem Aufruf bei ihrem China-Besuch auch nachgekommen. So verlangte sie beispielsweise von der chinesischen Führung mehr Freiheit für ausländische Journalisten.

Sie reagierte damit auf einen Beschwerdebrief deutscher Korrespondenten, die darin andauernde Einschüchterungen und Willkür beklagten. Merkel forderte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Wen Jiabao mehr Freiheit für ausländische Journalisten, dies würde dazu führen, dass man mehr voneinander lernen könne und sich besser verstehe.

Gleichzeitig vertrat sie auch die Auffassung, nicht jede Beschwerde und jede Forderung von Menschenrechtlern müsse sogleich befolgt werden. "Beide Seiten betonen die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit und der Wahrung der Menschenrechte", hatten die Verhandlungsführer in die gemeinsame Erklärung geschrieben. Eine Linie, die bei der chinesischen Führung offensichtlich ankommt. Das Parteiblatt "Global Times" lobte Merkel in der Ausgabe vom Freitag, dass sie die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China vorantreibe. Einst habe sie die Europäer dabei angeführt, den Dalai Lama zu empfangen, doch nun habe Deutschland die Möglichkeit, eine unabhängigere globale Rolle zu spielen: "Es sollte sich nicht im alten Europa vergraben."

Bei den Wirtschaftsfragen zeigte sich die chinesische Parteispitze hingegen diskursbereiter. Bei der Diskussionsrunde in Tianjin kritisierte Merkel China für versteckte Subventionen in der Solarindustrie und forderte mehr Transparenz. Sie stellt Wen die Frage, ob es in China Einflüsse gebe, die den Wettbewerb verzerrten, beispielsweise "sehr gute Kredite". Hintergrund dieser Anspielung ist die europäische Initiative EU ProSun, die Ende Juli bei der EU-Kommission eine Anti-Dumpingklage gegen "unfaire Handelspraktiken chinesischer Hersteller" eingereicht hatte.

Doch auch Spitzenvertreter der deutschen Industrie und Wirtschaft machten ihren Unmut Luft, dass der Zugang zum chinesischen Markt durch immer undurchschaubarere Gesetze und Auflagen erschwert wird. "Wir appellieren an Sie, dass wir eine Gleichberechtigung deutscher Unternehmen mit Unternehmen in China erlangen können", sagte etwa der Vorstandssprecher des Autozulieferers Knorr-Bremse, Lorenz Zwingmann. Wen Jiabao zeigte sich demonstrativ offen für diese Anliegen. "Wer von Ihnen irgendwelche Fragen hat, kann mir jederzeit einen Brief schreiben", bot der Regierungschef an, wohlwissend, dass er im Herbst als Premier abtreten wird.