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Die europäischen Demokratien sind ihrem eigenen Begriff nach säkularisiert. Religion soll Privatsache sein und keine Angelegenheit des Staates. Außerdem hat alle Macht vom Volk auszugehen, das heißt: Ein Staatsoberhaupt muss gewählt werden, um regieren zu dürfen.
Dieses nüchterne Ideal des säkularen Staats wurde ursprünglich entworfen, um die beiden großen Mächte der alten Zeit, die Geistlichkeit und die Aristokratie, zu entmachten. Dass dies nicht völlig gelungen ist, war in der vergangenen Woche gut zu erkennen: Wann hätte der Tod eines demokratischen Politikers schon einmal solche Emotionen ausgelöst wie das würdig inszenierte Sterben des Papstes?
Und die Aristokratie? Die bevorstehende Vermählung des britischen Thronfolgers mit seiner langjährigen Mätresse bot - trotz der Trauer um den Papst - Stoff für Klatsch, Interesse und Anteilnahme. Im Film "Charles und Camilla" (Mittwoch in ORF 2) kamen Menschen zu Wort, die man in feudalen Zeiten wohl als "Hofschranzen" bezeichnet hätte. Sie berichteten meist indiskret über das schwierige Liebesleben des Prince of Wales.
Zumindest in den Seelen der Menschen spielen Päpste und Könige also noch immer jene herausragende Rolle, die ihnen in der Demokratie eigentlich nicht zustünde. Dafür mag es viele Gründe geben - einer besteht aber gewiss darin, dass sich die alten Mächte gut mit der ziemlich neuen Macht namens Fernsehen verstehen.