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Katastrophen scheinen zur Bekämpfung stets mehr vom Selben – aber nicht immer Richtigen – auf die Agenda zu spülen. Die Antwort auf die Zerrissenheit der Welt sind nicht selten höhere Mauern, neue Grenzen und die Aufwertung der Sicherheitsapparate. Für Österreich bietet sich nun nach den unterschiedlichen Flüchtlingstragödien die Chance zu einer außenpolitischen Neujustierung statt schon wieder Soldaten in der Flüchtlingsfrage ins Feld zu schicken.
Österreich ist international in den letzten Wochen mit zwei auf den ersten Blick kaum zusammenhängenden Themen ins Blickfeld geraten. Unfreiwillig, dass 71 Flüchtlinge in einen Laster gepfercht auf der Ostautobahn starben und freiwillig durch den "Humanitarian Pledge". Dieses humanitäre Gelöbnis zielt darauf ab, Atomwaffen gänzlich abzuschaffen.
Die atomare Bedrohung hat viele Gesichter. Neben Menschenleben und Gesundheit betreffen die Auswirkungen von einem möglichen Atomwaffeneinsatz – sei es bewusst, aus Irrtum oder technischen Mängeln – Umwelt, Infrastruktur, Ernährung, Klima, Entwicklung und sozialen Zusammenhalt. Aus dem Problemkreis hat Österreich nun die richtige Konsequenz gezogen und tritt für vollständige Abrüstung ein. Mittlerweile unterstützen 114 Staaten die Initiative von Außenminister Sebastian Kurz. Der "Humanitarian Pledge" kann bei all den Folgen als umfassender Beitrag zur zivilen Krisenprävention verstanden werden. Diesem Präventionsverständnis sollen weitere Schritte folgen.
Beinahe das gesamte politische Personal Österreichs fordert eine europäische Lösung zur Flüchtlingsproblematik. Viel zu viel Tote zählt man schon. Die Zeit ist nun vorbei, sich allein hinter dieser Forderung an Brüssel zu verschanzen. Eine nicht stattfindende gemeinsame EU-Politik darf einzelstaatliche humanitäre und präventiv wirkende Vorstöße nicht in Geiselhaft nehmen. Aber es braucht ein schlüssiges Konzept, um die Fluchtursachen glaubwürdig zu bearbeiten. Die westlichen Staaten müssen sich mit den Kriegen und deren Wurzeln im Irak, Syrien, Israel, Palästina oder den "vergessenen Kriegen" in Afrika auseinanderzusetzen. Im Interesse aller. Waffen hat der Westen schon genug verkauft.
Vorbeugen besser als Heilen
Ein wichtiger Teil der Österreichischen Sicherheitsstrategie zielt darauf ab, "dass Bedrohungen erst gar nicht entstehen". Prävention sei sogar der "Vorrang einzuräumen" und es braucht "neue Wege der Prävention". Wie andere Strategiedokumente (3C-Appell, Leitfaden Sicherheit und Entwicklung) bekräftigt auch das aktuelle Regierungsprogramm die zivile Krisenprävention. Natürlich ersetzt eine langfristige Orientierung auf Krisenprävention keine humanitäre Soforthilfe. Vielmehr ist es eine im EU-Kontext zu sehr im Schatten stehende Strategie, der bei Österreich eine ganz wichtige Lücke füllen könnte.
Wertvoll ist die Erkenntnis, dass gewaltsame Konflikte nicht einfach "ausbrechen", sondern eine Vorgeschichte haben, in die auch mit zivilen Mitteln eingegriffen werden kann. Österreich kann nun Krisenprävention nicht nur auf dem geduldigen Papier, sondern auch in der Realität zu einem Eckpfeiler der Außenpolitik machen. Gerade und weil man sich auf die europäische Ebene hier nicht verlassen kann.
Zivile Krisenprävention erfordert ein Verständnis von Konfliktursachen, Eskalations- bzw. Deeskalationsdynamiken und Regionalkenntnisse. Und hiervon gibt es in Österreich nicht nur staatliches Wissen, sondern auch in der Wissenschaft, den Interessensvertretungen, den Kirchen, humanitären Einrichtungen und der international vernetzten Friedensorganisationen. Mit ziviler Krisenprävention soll menschliches Leid vermieden werden, sie ist allemal billiger als ein Militäreinsatz und steigert die außenpolitische Glaubwürdigkeit. Skeptiker sind hingegen der Ansicht, dass Staaten stets eigennützig handeln und der Gedanke der Gemeinnützigkeit in Zweifel gezogen werden muss. Prävention ist kein politisch beliebig einsetzbares Wünsch-dir-was, sondern hat klare Methoden und Instrumente. Zielsetzung ist nicht nur die Verhinderung physischer Gewalt, sondern auch das Aufweichen gesellschaftlicher Gewaltstrukturen. Natürlich verschwimmt bei diesem Zugang der Konfliktbearbeitung vor Ort das Auseinanderdividieren von jenen, die vor Krieg und jenen die vor Armut fliehen. Konzeptionen für zivile Prävention gibt es nicht nur vor gewaltsam ausgetragenen Konflikten, sondern auch wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist.
Österreich kann sich gemeinsam mit staatlichen und nichtstaatlichen Verbündeten innerhalb und außerhalb der EU für einen Paradigmenwechsel in Richtung einer Kultur der Prävention engagieren und den Präventionsgedanken zum außenpolitischen Leitbild erklären. Internationale Organisationen wie die UNO und die OSZE sind dabei eine besonders wichtige Ressource. Dass von den weltweit 114 Unterstützern des "Humanitarian Pledge" zur nuklearen Abrüstung nur 4 von 28 EU-Staaten (Österreich eingeschlossen) sind, ist ein Vorgeschmack auf die nötigen diplomatischen Anstrengungen. Jedoch haben zahlreiche Regierungen aus Krisenregionen den österreichischen "Humanitarian Pledge" zur Abrüstung unterstützt. Die Ausarbeitung eines österreichischen Vorstoßes zur zivilen Krisenprävention wäre ein glaubwürdiger Beitrag zu einer aktiven Friedenspolitik. Ein Beitrag, der nicht die Augen verschließt, sondern abseits blinder Sicherheitslogik Partei für die Ärmsten ergreift. Zudem ist eine österreichische Initiative für zivile Krisenprävention ein Signal gegen nationale Spielwiesen und eigenbrötlerische Machtinteressen in der EU.
Niemand garantiert im Einzelfall, dass zivile Krisenprävention funktioniert. Sie verlangt Fingerspitzengefühl. Klug eingesetzt ist sie jedoch ein Instrument, um nicht kurzatmig, opportunistisch und militärisch auf Gewaltkonflikte zu reagieren. Nach der österreichischen Abrüstungsinitiative wäre die zivile Krisenprävention ein weiterer Ansatz, um zu so etwas wie einer geachteten österreichischen Außenpolitik zurückzufinden.