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Parfüm - eine sinnliche Verführung

Von Barbara Schleicher

Reflexionen
Der Duft auf der Haut - alltägliche Pflege oder Vernebelung der Sinne?
© Corbis

"Amouage" heißt die teuerste Duftkomposition der Welt, die 1983 der legendäre französische Meisterparfümeur Guy Robert aus 120 natürlichen Essenzen im Auftrag seiner Hoheit Sayyid Hamad bin Hamoud al bu Said von Oman kreierte. Weltweit führen es nur die exklusivsten Parfümerien. Für 50 ml Parfüm "Gold pour Femme" müssen 285 Euro und für das nur im Goldflakon erhältliche "Gold Flasks" stolze 1700 US-Dollar hingeblättert werden.


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Nun brauchen Menschen mit kleinem Geldbeutel nicht auf künstliche Wohlgerüche verzichten. Rund 500 Damen- und 200 Herrendüfte halten gut sortierte Kosmetikshops bereit - betörend für Nasen und Sinne. Orientierung für die Kaufentscheidung liefern Geschlecht, Duftlinie, Preis und nicht zuletzt die kulturelle Prägung. So bevorzugen die Westeuropäer eher sinnliche, blumige, sportliche, elegante und klassische Düfte, während die Japaner auf leichte, blumige Noten setzen. Orientale lieben schwere aphrodisische Duftöle auf Weihrauchbasis, die gerne mit französischen Parfüms kombiniert werden - eine verruchte Mixtur für europäische Nasen.

Duft für jeden Tag. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich eine Dame nur zum Ball und zum Theater einen Duftmantel umlegte. Längst gehört der Griff zum Duftflakon ebenso wie die Haut- und Körperpflege zum Alltag. Wieso wir zu künstlichen Duftstoffen greifen, ist eine der vielen Fragen, denen die renommierte Sexualwissenschafterin und Kulturanthropologin Ingelore Ebberfeld nachgeht: "Durch den angelegten Duft verändert die Trägerin oder der Träger nicht nur ihren eigenen Geruch, vielmehr schlüpft sie in eine andere Haut. Mit dem Kauf eines bestimmten Parfüms erkauft sie sich auch ein bestimmtes Flair und hofft vielleicht, sogar all das zu sein, was das Parfüm verspricht, nämlich erotisch, schön, sportlich, elegant, sinnlich, romantisch usw." Längst werben Kultlabels wie Joop, Clarins, Sander, Lancaster, Boss, Lancome oder Chanel erfolgreich mit (halb-)nackten und unwiderstehlichen Models für ihre neueste Duftkreation - und tauchen damit ins Reich der sexuellen Fantasien ein. Verführerisch ist die Fantasie, durch bestimmte Duftimpulse sexuell betörend zu wirken, andere in den Bann ziehen zu können. Obwohl gegen die sexuelle "Duftbannung" die eigene Ratio und Erfahrung spricht, ist die sinnliche Verlockung dermaßen groß, dass der Duftstoffkonsum jährlich ansteigt. Allein 773 Millionen Euro geben die deutschen Nachbarn jährlich für Parfüms und Duftwässerchen aus.

Ich kann dich riechen. Ist der Geschlechtstrieb die Grundlage für unsere Parfümkultur? Für Ebberfeld, Autorin zahlreicher Bücher, weist die Nase die richtige Richtung: "Geruch und Sexualität hängen sehr eng zusammen - jene Gerüche, die in der Liebe und Partnerschaft eine ganz außerordentliche Rolle einnehmen. Denn wen man nicht riechen mag, mit dem geht man auch nicht ins Bett." Seit Jahren ist die Bremerin den künstlichen Düften und menschlichen Gerüchen auf der Spur. An die 500 Personen aller Altersgruppen und mit verschiedenen sexuellen Vorlieben hat sie interviewt und die Ergebnisse in einer süffisanten Sittengeschichte des menschlichen Sexualgeruchs zusammengetragen. Fürwahr keine repräsentative Umfrage - aber die erste Untersuchung eines ansonsten tabuisierten Thema.

Bei der Kontaktaufnahme sind es zunächst die Augen, die das Gegenüber beobachten und taxieren, um zu einer ersten "rationalen" Einschätzung zu gelangen. Sobald wir uns nähern, treten wir ein in den Dunstkreis des anderen. Insbesondere das Haar übernimmt hierbei die Funktion des Duftpinsels, des Duftverbreiters. Nun bewegt sich die Urteilskraft der Nase auf der reinen Gefühlsebene. Dufteindrücke werden unmittelbar dem limbischen System weitergeleitet, dem stammesgeschichtlich sehr alten Teil des menschlichen Gehirns, das auch für Emotionen und Triebe zuständig ist. Ob sich ein Gespräch, ein Flirt oder mehr entwickelt, hängt letztlich davon ab, ob wir das Gegenüber "gut riechen" können. Pheromone heißen die geheimnisvollen Lock- und Botenstoffe, die jeder Mensch aussendet. Sind die Düfte ein Katalysator für unsere Gefühlswelt? Lassen wir den Meister des Geruchssinns, den Romancier Patrick Süskind zu Wort kommen: "Denn der Duft war ein Bruder des Atems. Mit ihm ging er in die Menschen ein, sie konnten sich seiner nicht erwehren, wenn sie leben wollten. Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ins Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Abneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass. Wer die Gerüche beherrschte, der beherrschte die Herzen der Menschen."

Parfüm gegen Eigengeruch. Bekanntermaßen gelten Achselschweiß und Geschlechtsgeruch als unschicklich, als Beleidigung fremder Nasen. Um nur nicht nach "Mensch" zu riechen, greifen wir zu Seife, Deo, Aftershave und Parfüm. "Chanel No 5 statt Schweißgeruch" heißt das ungeschriebene Gesetz einer Gesellschaft mit groteskem Körperkult. Erfahrungsgemäß entfalten sich Parfüms auf der menschlichen Haut sehr unterschiedlich, was mit dem individuellen Eigengeruch zusammenhängt. Dieser ist das Ergebnis verschiedener Duftquellen mit zahlreichen Duftbestandteilen.

Frauen riechen anders als Männer, wobei sich der spezifische Geruch erst mit der Geschlechtsreife entwickelt. Der weibliche Axialgeruch wird als schweißig-saure Duftnote klassifiziert, die von einem geringen Moschusanteil und Sandelholzduft begleitet wird. Im Vergleich dazu ist der männliche Achselgeruch als weitaus stechender und schweißiger zu charakterisieren. Verstärkt lassen sich Moschus- und Sandelholzanteile ausmachen, wobei Attribute wie "bouillonartig" und "urinös" häufig genannt werden. Kurioserweise riechen nicht nur die Geschlechter, sondern auch die Kulturen höchst unterschiedlich. So glauben die Japaner, dass Europäer nach Butter riechen, während wir bei Koreanern keinen Schweißgeruch ausmachen. Für alle gilt, dass sich durch Körperreinigung, körperliche Anstrengung, Krankheit, Stress, Monatszyklus und Geschlechtsverkehr der Eigengeruch verändert.

Speziell im Liebesleben ist der Schweißgeruch erotisierend. Angekurbelt durch Libido und sexuelle Stimulation kommt es zur vermehrten und veränderten Schweiß- und Sekretausschüttung. Durch den Koitus verändert sich nicht nur die Stimmungslage sondern auch der Intimgeruch. Es sind diese charakteristischen Zersetzungsgerüche, die der Lateiner "odores hircini", der Volksmund als "Bocksgerüche" bezeichnet, welche die Leidenschaft weiter ankurbeln. Umgekehrt verändert eine temporäre Abstinenz - hervorgerufen durch Gefängnis, Krieg und Internierung - die menschliche Duftnote. In der Wissenschaft spricht man vom sogenannten "Beichtstuhlgeruch".

Die Mischung machts. Regieren Männer und Frauen auf gleiche Botenstoffe der Liebe? Insgesamt favorisieren beide Geschlechter eine Mischung aus Odeur und Parfüm, um sich dem Liebesspiel hinzugeben. Dabei werden Frauen mehr von den Düften "oberhalb der Gürtellinie", Männer mehr von den Gerüchen "unterhalb der Gürtellinie" angezogen. Intimsprays werden einhellig abgelehnt. Stattdessen favorisieren beide Geschlechter die Geruchsnote "frisch gewaschen".

Spätestens seit Süskinds Erfolgsroman ist bekannt, dass der gewünschte animalische Duftcharakter aus tierischen und pflanzlichen Konzentraten herrührt. Auch in der Gegenwart stellen die pikanten Drüsensekrete aus Moschus, Zibet und Castoreum sowie das herb-würzige Gallensekret Ambra einen Basisduft dar. Desgleichen bilden Blütenessenzen aus Orange, Schwertlilie, Zimt, Rose, Jasmin und Myrrhe einen Ausgangsstoff, der interessanterweise die Aromanote "Indol" enthält - nachweisbar im menschlichen Speichel. Speziell diese Duftmoleküle verleihen den Wässerchen eine faulig-süße oder betäubend-schwüle Note. Es gehört zur Kunst eines exzellenten Parfümeurs, diese animalischen Lockstoffe so behutsam zu dosieren, dass sie nur unbewusst wahrgenommen werden, gleichwohl aber als Aphrodisiakum wirken.

Jedenfalls ist Ingelore Ebberfeld felsenfest überzeugt, dass "der Mensch mit Hilfe von Parfüm einen listigen und ästhetischen Weg gefunden hat, seine archaischen Düfte zu präsentieren und seine gerüchliche Lust an tierisch-sexuellen Gerüchen zu befriedigen."