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Verunsicherung seit letzter Wahl. | Polit-Propaganda streng geregelt. | Paris. Verträumt teils, teils geschäftig bahnen sich die Pariser ihren Weg durch Straßen und Touristen. Mit dem Frühling blüht auch die Stadt wieder auf, alles läuft in geregelten Bahnen, alles läuft wie gewohnt. Der Wahlkampf lässt die Einwohner der Seine-Metropole scheinbar kalt. Wenige Tage vor der Präsidentschaftswahl sind Zettel verteilende Stimmenkeiler so selten wie ein nennenswerter Gewinn beim Brieflos. Kein Geschrei, keine überbordende Polit-Werbung. Nur gelegentlich grinsen die zwölf Kandidaten artig nebeneinander von den penibel nummerierten Plakaten. Denn Wahlpropaganda ist in Frankreich streng limitiert und dem französischen Gleichheitsgrundsatz getreu aufgeteilt.
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Niemand scheint hier mit der Frage beschäftigt zu sein, die derzeit ganz Europa bewegt: Wer wird Frankreichs nächster Präsident? Während in anderen Ländern die politische Lautstärke indirekt proportional zu den verbleibenden Tagen zum Stichtag zunimmt, scheint in Paris die Welt Kopf zu stehen. Doch bei genauerem Hinhören lässt sich das über die Stadt gelegte Raunen und Zischen identifizieren: "Also die Ségolène . . .", ". . . da hat doch der Sarkozy . . .", ". . . Sarkozy . . .", ". . . Royal, Bayrou . . .", "Le Pen", schnappt man die Satzfetzen auf.
Unter der scheinbar ruhigen Oberfläche herrscht reges Treiben. Das Thema Wahlkampf ist allgegenwärtig, doch die Franzosen sind vorsichtig geworden. Zu tief sitzt noch der Schock von der letzten Wahl. Als es der rechtsextreme Le Pen in die Stichwahl gegen den rechten Chirac schaffte. Als viele Franzosen keine Wahl hatten. Als die Linken den Rechten wählen mussten.
Wahlverdruss und Unentschlossenheit
"Ich weiß nicht, wen ich wählen soll. Vielleicht wähle ich einfach weiß. Das sind doch alles dieselben Banditen", sagt Marc mit ernster Miene. So wie er weiß rund ein Drittel der Franzosen noch nicht, für wen es am Sonntag das Kreuz machen soll. Selbst jetzt noch nicht, so kurz vor der Wahl.
"Wenn du in Frankreich reich sein willst, dann musst du Politiker werden", macht der Unternehmensberater seinem Ärger Luft. Er erzählt vom konservativen Kandidaten Nicolas Sarkozy und der Sozialistin Ségolène Royal, von Häusern und Millionenverträgen. "Dem Sohn von Sarkozy ist das Moped gestohlen worden. Der Herr Papa hat gleich die Spezialeinheiten der Polizei ausrücken und die Täter mittels genetischen Fingerabdrucks ausforschen lassen." Dass die Linke da nicht einen Mucks gemacht hat, sei leicht erklärt: "Die Royal hat ja bei ihrem Filius vor einem halben Jahr in derselben Situation genau das gleiche gemacht."
"Also ich schau mir die Streithanseln im Fernsehen gar nicht mehr an. Die beschimpfen einander doch nur, ohne sich mit dem Kern der wichtigen Themen auseinanderzusetzen", sagt Loic, dynamischer Anwalt bei einer Pariser Großkanzlei. Tatsächlich hat es kein Thema geschafft, diesem Wahlkampf seinen bestimmenden Stempel aufzudrücken. Täglich ergeben sich neue Sujets, auf die sich die Kandidaten umgehend stürzen, nur um kurz darauf wieder beim nächsten Thema zu landen. Meinungen werden propagiert und wieder zurückgenommen, schwammige Positionen eingenommen, manche Themen ausgenommen. Schließlich sind auch die Kandidaten im französischen Präsidentschaftswahlkampf vorsichtig geworden.
Besonders deutlich wird dies beim Eiertanz rund um die EU-Verfassung, die Sarkozy, Royal und der zentrumsliberale François Bayrou zwar unterstützen, aber gleichzeitig wissen, dass sie die wahlentscheidenden Konstitutions-Gegner nicht vergraulen dürfen. Das seinerzeitige negative Referendum hatte die Sozialistische Partei gespalten und so in schwerste Kalamitäten gebracht.
Das Rennen um Recht und Ordnung
"Also ich wünsche mir, dass die Sozialisten diesmal so richtig einfahren", erklärt Unternehmer Olivier. Danach sei die Gelegenheit für einen Neuanfang da. "Dann könnte man endlich einmal eine Sozialdemokratische Partei schaffen, wie sie in den anderen europäischen Ländern bereits existiert." Derzeit seien die Sozialisten einfach zu demagogisch und zu wirtschaftsfeindlich.
Die Wirtschaftskrise ist eines der häufigsten Themen in Frankreich. Zwar hat das Land mit einer positiven demographischen Entwicklung und Unternehmen, die zu den erfolgreichsten der ganzen Welt zählen, eine starke ökonomische Basis. Doch niedriges Wirtschaftswachstum und hohe Arbeitslosigkeit lassen viele Franzosen an einer rosigen Zukunft ihres Landes zweifeln.
Für Jean-Pierre aus dem Pariser Vorort Boulogne-Billancourt gibt es nur einen der diese garantieren kann: Nicolas Sarkozy. "Der Mann ist brillant. Er ist der einzige der Lösungen für Probleme präsentiert, die andere verschweigen oder nicht sehen wollen: Immigration, Sicherheit und Arbeitslosigkeit." Doch Sicherheit ist seit den Unruhen in den Vororten französischer Metropolen bereits für alle Kandidaten ein Thema. Sogar Ségolène Royal will in diesem Fall ein härteres Programm fahren - sehr zum Missfallen einiger ihrer Parteikollegen. Neben Le Pen hat sich aber mittlerweile Ex-Innenminister Nicolas Sarkozy einen Namen als Hardliner gemacht. Freunde macht er sich damit nicht überall.
"Mir ist egal, wer gewinnt", sagt Miriam, "solange es nicht Sarkozy ist. Wenn der gewinnt, wandere ich aus." So wie die algerisch-stämmige Verkäuferin denken viele. Dies trägt zur Unentschlossenheit der Wähler bei, die aus taktischen Gründen bis zuletzt abwarten, welcher der Kandidaten die besten Chancen hat, Sarkozy zu schlagen.
Da der gesamten Linken derzeit lediglich rund 35 Prozent der Stimmen vorausgesagt werden, überlegt manch ein Sozialist sogar Bayrou zu wählen. Auch Miriams Freund spricht der Zentrums-Liberale am ehesten an. "Endlich einer, der mit dieser Schwarz-Weiß-Malerei aufhört. Unter ihm wird es Minister aus beiden Lagern geben und genau das brauchen wir jetzt. Einen, der unser Land mit den besten Ideen konsolidiert." Nach einer Pause fügt er hinzu: "Aber egal wer gewinnt, wir brauchen endlich einen neuen Frühling in Frankreich."
Dossier: Frankreich wählt