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Paris erwacht aus dem Schock

Von WZ-Korrespondentin Judith Kormann

Politik

Eine Woche nach der verheerenden Terrorserie versuchen die Menschen in den Alltag zurückzufinden.


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Paris. Sie sind nicht mehr leer wie in den ersten Tagen nach den Anschlägen: die Bars, Restaurants und Straßen der Stadt. Auch die Metros sind inzwischen, zumindest zu den Stoßzeiten, wieder zum Bersten voll. Eine Woche nach den Attentaten vom 13. November versucht Paris in den Alltag zurückzukehren. Doch der Schock sitzt tief. Hie und da sieht man Leute scherzen, die meisten Gesichter aber wirken betrübt und angespannt. Auch in der Metro ist ein gewisses Unbehagen spürbar. Manche Fahrgäste beäugen misstrauisch ihre Mitfahrer, die meisten blicken zu Boden oder starren aus dem Fenster. Ein junger Mann schlägt seiner Freundin vor, in den neuen James-Bond-Film zu gehen. "Ich denke nicht, dass ich in nächster Zeit Filme sehen will, in denen Schießereien vorkommen", antwortet sie.

Auf der Straße erinnern Polizeisirenen alle paar Minuten daran, dass sich das Land im Ausnahmezustand befindet. Während der ersten Tage nach den Angriffen hat die Polizei den Parisern davon abgeraten, nach draußen zu gehen, Versammlungen waren aus Sicherheitsgründen verboten. "Das ganze Wochenende bin ich nicht auf die Straße gegangen", sagt Jeanine Tangy. Die 87-Jährige wohnt in unmittelbarer Nähe zur Konzerthalle Bataclan, in der Terroristen mehr als 80 Menschen erschossen haben. "Meine Concierge hat die Tür unseres Hauses geöffnet. Wir haben 35 Menschen aufgenommen, die aus dem Konzertsaal entkommen sind. Überall war Blut." Am Montag hat Tangy zum ersten Mal wieder ihr Haus verlassen, für die nationale Schweigeminute. "Ich habe meinen Nachbarn die Hand gegeben und einfach geweint", erzählt sie mit glasigem Blick. "Aber wir verschanzen uns nicht. Wir leben und zeigen Solidarität. Ich liebe mein Viertel, das ändert sich auch nach den Angriffen nicht."

Furcht um Freiheit

Ein Stück weiter die Straße hinunter starrt Paul-Emmanuel Leconte verloren ins Leere. "Es passierte keine 50 Meter von mir entfernt", sagt der 66-Jährige. "Das waren Szenen des Krieges, nicht einmal in Horrorfilmen sieht man solche Bilder." Doch Angst habe er in diesen Tagen keine: "In manchen Momenten spüre ich, wie sich gegen meinen Willen etwas in mir sperrt, aber auch das wird sich legen." Hoffnung gibt ihm die Solidarität der Pariser: "Die Hilfsbereitschaft in jener Nacht hat mich schwer beeindruckt."

Während die Meisten im 11. Arrondissement an diesem Nachmittag mit schnellen Schritten ihres Weges gehen, sitzt Jean Hercé scheinbar entspannt auf einer Bank und lässt seinen Blick schweifen. "Wie ich heute lebe? Genau gleich wie vor dem 13. November", sagt der 19-Jährige, "Ich fühle mich heute sicherer, als nach den Anschlägen auf ,Charlie Hebdo‘." Er deutet auf ein vorbeifahrendes Polizeiauto. "Überall in der Stadt sieht man Sicherheitskräfte. An der Universität kontrollieren sie unsere Taschen, bevor sie uns in das Gebäude lassen. Alle sind sich des Ernstes der Lage bewusst, und das ist gut so."

Am Donnerstag hat die Nationalversammlung der Forderung von Präsident François Hollande, den Ausnahmezustand auf drei Monate zu verlängern, zugestimmt. Damit kann die Regierung Ausgangssperren verhängen, Wohnungsdurchsuchungen ohne richterlichen Beschluss anordnen und mutmaßliche Gefährder unter Hausarrest stellen. 3000 zusätzliche Soldaten wurden mobilisiert und Kontrollen an rund 130 Grenzposten eingeführt. Hollande kündigte zudem an, innerhalb von zwei Jahren 5000 neue Polizeistellen zu schaffen. Das Land befinde sich im "Krieg gegen den Terror", betonte er mehrmals.

Jean Hercé begrüßt diese Maßnahmen. "Aber ich habe ein Problem mit dem Wort Krieg. Ich denke nicht, dass Bomben die Terroristen aufhalten werden", zweifelt der Student. Einige Franzosen fürchten indes, dass ihre Freiheiten unter den massiven Sicherheitsvorkehrungen leiden könnten. "Die Regierung sollte es mit der Überwachung der Bürger nicht übertreiben", fordert der 24-jährige Alban. Er warnt vor einer möglichen Spaltung der Gesellschaft. "Ich habe mehr Angst davor, dass sich die Wut gegen Muslime wendet, als vor neuen Anschlägen", stimmt die 19-jährige Abou El Naga zu. "Mehrere meiner Freundinnen wurden in den letzten Tagen beschimpft und angegriffen. Dabei haben wir nichts verbrochen, auch wir sind traurig."

"Fuck, drink and sing for Paris"

"Wir müssen der Welt zeigen, dass diese Angriffe nichts mit dem Islam zu tun haben", pflichtet Faouzia Bougzoul bei. Die Französin marokkanischer Herkunft ist an den Place de la République gefahren, um der Opfer der Anschläge zu gedenken. "Es hätte auch mich treffen können oder meine Tochter", sagt die 58-Jährige mit zittriger Stimme.

Im Zentrum der Stadt erinnern tausende Kerzen und Blumen an die Opfer der Anschläge. Die Pariser haben Titelseiten der Satirezeitung "Charlie Hebdo" an den Sockel der Mariannen-Statue geklebt und Zettel mit Botschaften wie "Paris, wähle das Leben!" oder "Wir haben keine Angst". Nach wie vor legen zahlreiche Menschen Blumen nieder.

Etwas abseits der Menge fotografiert Grégory Vouland das Geschehen mit seinem Smartphone. "Ich hatte das Bedürfnis, hierher zu kommen", sagt der 39-jährige Schauspieler und kramt vier Teelichter hervor. Als er von der Terrorserie erfuhr war sein erster Gedanke: Wie bringe ich das meinen Kindern bei? "Meine eigenen Ängste versuchte ich zu verbergen", gesteht er und zündet sich eine Zigarette an. Als kurz darauf ein Moped hupt, fährt er herum, genau wie viele andere. Nach dem ersten Schock hat Valaud auf die Ereignisse mit Humor reagiert. Anstatt der blau-weiß-roten Flagge, mit der viele Facebook-Nutzer ihre Solidarität bekunden, postete er eine grün-weiß-orangefarbene mit der Aufschrift "Verein für Farbenblinde". "Ich finde es ja nett, dass alle Welt ihr Mitgefühl ausdrückt, aber ich habe ein Problem mit dem Slogan ,Pray for Paris‘. Viel passender wäre: ,Fuck, drink and sing for Paris‘, denn dafür steht diese Stadt und deshalb wurde sie attackiert."

Um das Pariser Nachtleben bangen zahlreiche Restaurant- und Barbesitzer. In einem kleinen italienischen Lokal nahe des Place de la Bastille versucht der Besitzer, seine Gäste mit fröhlicher Musik davon zu überzeugen, die Pizza nicht zum Mitnehmen zu bestellen, sondern im Restaurant zu essen. Die Gläser jener, die sich an einen Tisch setzen, macht er besonders voll. Er selbst hat bei den Anschlägen vier Freunde verloren. "Aber wir werden zeigen, dass Musik und Lebensfreude stärker sind als der Terror."