Kritiker sprechen von "Verfassungs-Vandalismus".
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Dublin. Die irische Regierung hat sich etwas Fabelhaftes einfallen lassen. Sie muss noch weiter sparen. Also schrumpft sie das irische Parlament ein. Um ein Drittel soll das Oireachtas, die Volksvertretung der Iren in Dublin, reduziert werden.
Nicht nur soll die gewählte Kammer, das Dáil, ein halbes Dutzend Abgeordnete verlieren. Die 60-köpfige zweite Kammer, der Seanad (Senat), soll gleich ganz abgeschafft werden. Damit, tönt Regierungschef Enda Kenny, könne man die jährlichen Staatsausgaben um 20 Millionen Euro verringern. Gegner des Plans halten das Ganze für "Wahnwitz" - für "Verfassungs-Vandalimus der schlimmsten Art".
Am Freitag dieser Woche sollen die Iren über Kennys Sparidee in einem Referendum entscheiden. Plakate überall an Hauswänden und Telegrafenstangen klären über das Vorhaben auf. "Ersparnis von 20 Millionen Euro. Weniger Politiker. Schafft den Senat ab. Stimmt mit Ja", fordert forsch Kennys Partei, die rechtsliberale Fine Gael, die zusammen mit der kleinen Labour Party die irische Regierung stellt.
75 Jahre alter Institution droht nun abruptes Ende
Die Wähler scheinen nicht abgeneigt. Den Umfragen zufolge wird eine Mehrheit mit Ja stimmen. Sollte es dazu kommen, würde die Republik Irland von den nächsten Parlamentswahlen an mit einem Senatoren-freien Parlament operieren. Gegner der Reform aber können nicht glauben, dass derart unzeremoniell mit einer 75 Jahre alten Institution, die immerhin gewisse Kontrollfunktionen ausübt, Schluss gemacht werden soll.
Der konservative Oppositionsführer Micheál Martin von Fianna Fáil prophezeit bei einem Wegfall des Senats "weniger Rechtfertigungspflicht und weniger Transparenz" im politischen Geschäft. Für den unabhängigen Senator Feargal Quinn wird die Senats-Abschaffung "unsere Demokratie beschädigen, die Verfassung lädieren und Kabinettsmitgliedern mehr Macht in die Hand geben."
"Schlicht ein ganz übler Griff nach mehr Macht"
Auf der Linken raufen sich Kritiker die Haare über die "Ironie" einer solchen Entscheidung. Den Sparzwang hätten kriminelle Banker und verantwortungslose Minister dem Land beschert. Nun solle, um für diese Verluste aufzukommen, ausgerechnet die Institution geschwächt werden, deren Aufgabe es sei, Regierungsaktionen zu überwachen. Das sei, meint der Dubliner Geschichts-Professor Diarmaid Ferriter, "schlicht ein ganz übler Griff nach mehr Macht" durch die Regierung. Sei man den Senat erst los, könne Gesetzgebung "noch leichter durchs Dáil gedrückt werden" als bisher.
Die Initiatoren der Reform wiederum finden dieses Argument zum Lachen. Der Senat ist ihrer Ansicht nach in seiner Zusammensetzung selbst vollkommen undemokratisch und außerdem "ganz uneffizient". Länder wie Dänemark oder Schweden, meinen sie, kämen auch ganz gut mit einer einzigen Kammer über die Runden. Und zusätzliche Befugnisse wolle man den Dáil-Ausschüssen ja irgendwann gern einräumen. Für das gesparte Geld aber könne der Staat ein paar hundert Lehrer zusätzlich beschäftigen, rechen die Reformbefürworter vor.
Kritik am Seanad hat es in der Tat von dessen ersten Tagen an gegeben. Der dem britischen Oberhaus nachempfundenen Kammer ist lange vorgeworfen worden, elitär und regierungslastig zu sein. Elf seiner Mitglieder ernennt zum Beispiel der jeweilige Regierungschef, der sich damit in der Praxis immer eine Senatsmehrheit sichert. Sechs weitere Senatoren dürfen die Universitäten des Landes berufen - die damit ähnlichen Einfluss ausüben wie die Staatskirche in London mit ihrer Entsendung von zwei Dutzend Bischöfen ins House of Lords.
Einen "bizarren Anachronismus" hat Dublins "Sunday Business Post" beide Arrangements, in Irland wie in Großbritannien, einmal genannt. Schon der irische Staatsgründe Éamon de Valera hatte 1928 eigentlich vor, den Senat wieder abzuschaffen: "Er ist zu teuer - und wir sehen keinen besonderen Nutzen, den er erfüllt."
Politikern wird zynisches Taktieren vorgeworfen
In der Folge vergaß De Valera seinen Plan aber wieder. Seither sind ein Dutzend Versuche gemacht worden, die zweite Kammer zu reformieren. Unter anderem wurde vorgeschlagen, einen Teil der Senatoren wählen zu lassen und dem Senat neue Befugnisse zu übertragen. Außerdem sollten die Iren im britischen Teil der Insel, spezielle Minderheiten wie die Travellers oder in alle Welt verstreute Exil-Iren im Senat fest vertreten sein. Das war bisher nur sporadisch der Fall.
Nun aber will man stattdessen die ganze Kammer abschaffen. Und Befürworter wie Gegner der Reform haben sich dabei den Vorwurf zynischen Taktierens eingehandelt. Regierungschef Kenny nämlich hatte im Sommer 2009 noch nachdrücklich dem Erhalt der Kammer das Wort geredet. Drei Monate später propagierte er plötzlich deren Abschaffung.
Die Kehrtwende, klagen Kennys Kritiker, sei bloß "ein politischer Stunt" gewesen, weil Kenny damals in einem Popularitätstief steckte und eine spektakuläre Maßnahme benötigte. Die den Senat retten wollen, allen voran Oppositionschef Martin, müssen sich aber den gleichen Vorwurf gefallen lassen. Martin verpflichtete seine Partei Fianna Fáil im Wahlkampf vor zwei Jahren noch zur Abschaffung des Seanad. Seine Liebe zur zweiten Kammer entdeckte er erst vor wenigen Monaten - als die Regierungs-Kampagne zur Senats-Abschaffung allen Ernstes begann.