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Einigung auf Kompromiss für Chemikalienverordnung. | Ausnahmen ärgern Umweltschützer. | Straßburg. Die EU hat nach jahrelangem erbitterten Streit einen entscheidenden Meilenstein für eine neue Chemikalienverordnung gesetzt. Was abstrakt klingt, betrifft jeden Menschen: Von 100.000 in Europa bekannten Chemikalien befinden sich gut 30.000 im Umlauf. Sie befinden sich in fast jedem Gegenstand des Alltags. Welche Auswirkungen sie auf Gesundheit und Umwelt haben, ist weitgehend unbekannt.
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Das soll sich ändern. Mit einer breiten Mehrheit von 398 zu 148 Stimmen hat das Europäische Parlament gestern, Donnerstag, einen Kompromiss für die Registrierung, Bewertung und Autorisierung der verbreiteten chemischen Stoffe (REACH) verabschiedet. Mit fast 5.000 Änderungsanträgen in zehn parlamentarischen Ausschüssen ist es das komplizierteste Gesetz, mit dem die EU jemals konfrontiert war.
Die bürokratische und wirtschaftliche Belastung der anstehenden EU-Norm sei reduziert, die Stoßkraft des neuen Systems aber nicht beeinträchtigt worden, erklärte der zuständige Berichterstatter Guido Sacconi von den italienischen Sozialdemokraten. Umweltschützer und Grünpolitiker sehen das anders. Von einer "großen versäumten Chance für die Konsumentensicherheit" spricht die österreichische Abgeordnete Eva Lichtenberger.
Zwar müssen künftig sämtliche Chemikalien, von denen ein Unternehmen mehr als eine Tonne pro Jahr produziert, bei der geplanten Chemie-Agentur zentral registriert werden. Für Altstoffe bis zu 100 Tonnen soll es jedoch Erleichterungen geben - zur Entlastung der Klein- und Mittelbetriebe. Diese dürften auf umfassende Tests verzichten, wenn die - vielfach intern vorhandenen - Grunddaten keine Anhaltspunkte für Gefährlichkeit liefern. Hier ortet der Chemie-Experte der deutschen Grünen, Axel Singhofer, das Problem. "REACH sollte geschaffen werden, weil keine Daten existieren. Nun soll die Gefährlichkeit anhand von vorhandenen Daten eingeschätzt werden."
Aufgrund der Struktur von Chemikalien seien sehr wohl plausible Schlussfolgerungen auf deren potenzielle Gefährlichkeit möglich, hält CDU-Europaparlamentarier Hartmut Nassauer entgegen, der auch REACH-Berichterstatter im Binnenmarktausschuss ist. Es handle sich um anerkannte wissenschaftliche Analogien. Darüber hinaus werde auch geprüft, ob und wie oft ein Stoff überhaupt mit Mensch und Umwelt in Kontakt komme. Gebe es auch nur die Möglichkeit einer Gefährdung, greife sofort das volle Programm. Die Kosten für die Tests belaufen sich dann auf rund 225.000 Euro pro Stoff. Diese Prozedur soll alle Chemikalien treffen, die neu auf den Markt kommen.
Befristet genehmigt
Die Ausnahmen kommen der Industrie entgegen. Weniger Freude dürfte sie hingegen mit der auf fünf Jahre befristeten Genehmigung für besonders gefährliche Stoffe haben. In diesen Abständen müssen die Produzenten nachweisen, dass es keinen gleichwertigen, weniger schädlichen Ersatz gibt.
Das werde von den Mitgliedsstaaten noch gekippt, ist Nassauer sicher. Die Wirtschaftsminister sollen REACH nach Wunsch des britischen EU-Vorsitzes bei einem Sondertreffen vor Weihnachten verabschieden. Der Kompromiss im Parlament sei "eine gute Basis" dafür, attestierte der österreichische Minister Martin Bartenstein.