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Parlament geht an die Arbeit

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Grüne Mandatarin Ulrike Lunacek wird Vizepräsidentin.


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Straßburg. Ein Willkommen an die Europa-Parlamentarier: Mit dieser Aufschrift auf Plakaten vor dem Bahnhof begrüßte die Stadt Straßburg die EU-Mandatare, die zur ersten Plenarsitzung in dieser Legislaturperiode zu ihrem Sitz an der französisch-deutschen Grenze gekommen waren. Bloß: Etliche Abgeordnete konnten es gar nicht gesehen haben - weil sie nicht die Möglichkeit hatten, mit dem Zug anzureisen. Wegen eines Eisenbahnerstreiks wurde sogar der Sonderzug aus Brüssel, der die Volksvertreter samt ihren Mitarbeitern ansonsten zu ihren Sitzungen nach Straßburg bringt, abgesagt. Ersatzbusse mussten her.

Auf keinerlei Hindernisse traf dann aber Martin Schulz bei der Wahl des Parlamentspräsidenten. Gleich im ersten Anlauf wählten die Mandatare den Sozialdemokraten zu ihrem Vorsitzenden: Der deutsche Spitzenkandidat bei den EU-Wahlen vor gut einem Monat erhielt nun 409 von 612 gültigen Stimmen. Für den britischen Abgeordneten Sajjad Karim von der EU-kritischen Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten votierten 101 Mitglieder. Der spanische Links-Mandatar Pablo Iglesias und die Grüne Ulrike Lunacek errangen jeweils 51 Stimmen.

Die Politikerin wusste allerdings von Anfang an, dass sie weit höhere Chancen auf einen anderen Posten hatte: den einer Vizepräsidentin. Lunacek ist die einzige Österreicherin, die eine der insgesamt 14 Stellvertreter ist. Zuvor war der ÖVP-Abgeordnete Othmar Karas der einzige Österreicher in so einem Amt. Beim Votum für die Vizepräsidenten waren die Abgeordneten jedenfalls schon so stimmfreudig, dass sie zu den Urnen gingen, bevor Schulz den Wahlgang für eröffnet erklärte. "Die Demokratie verschafft sich ihr Eigenleben", kommentierte er.

Schulz ist der erste Präsident der Volksvertretung, der eine zweite Amtszeit antritt. Schon die letzten zweieinhalb Jahre stand er dem Abgeordnetenhaus vor, nachdem er Jerzy Buzek von der Europäischen Volkspartei (EVP) abgelöst hatte. Seine Wiederwahl bezeichnete der Sozialdemokrat als "Herausforderung und Ehre" sowie "Höhepunkt meiner politischen Karriere" - auch wenn er nie ein Hehl aus seiner Ambition gemacht hat, Präsident der EU-Kommission zu werden. Den Job soll nun aber der Christdemokrat Jean-Claude Juncker bekommen, der Spitzenkandidat der EVP, die bei den EU-Wahlen stimmenstärkste Partei geworden war.

Das Wahlergebnis - und damit das Vortrittsrecht Junckers - musste Schulz akzeptieren, gehörte er doch zu jenen, die die Idee der Spitzenkandidaten, die sich gleichzeitig um die Leitung der EU-Kommission bewerben, forciert hatten. Um Druck auf die Staaten auszuüben, die sich bisher die Zusammensetzung der Brüsseler Behörde untereinander ausgemacht haben, deklarierten die größten Fraktionen, keinen von den Ländern bestimmten Kandidaten zu unterstützen.

Diese sogenannte technische Vereinbarung bildete umgekehrt die Garantie für die Parteien, bei der Besetzung von Posten berücksichtigt zu werden: Wie die EVP die Wahl des Sozialdemokraten Schulz befördert hat, wird dessen Fraktion in zwei Wochen die Bewerbung Junckers stützen. Mitgetragen haben diese Abmachung auch die Liberalen, und sie wollen ebenfalls im Gegenzug etwas erhalten. So könnten EU-Topjobs wie jene des Außenbeauftragten oder des Vorsitzenden der Eurogruppe einem Mitglied der Liberalen zufallen.

Präsidentenwechsel in Halbzeit

Fix ist schon jetzt, dass Schulz in zweieinhalb Jahren sein Amt an einen Kollegen aus der EVP übergibt. Schon in der vergangenen Legislaturperiode teilten sich die beiden Fraktionen den Vorsitz. Der ÖVP-Mandatar Karas ist an dem Posten interessiert, doch könnte er Konkurrenz von anderen einflussreichen Konservativen bekommen, zu denen ehemalige EU-Kommissare zählen. Damit ist die Situation nicht so klar, wie vor fünf Jahren, als die Übergabe an Schulz von Anfang an so gut wie sicher war. Dieser war damals allerdings als Fraktionsvorsitzender so etabliert, dass es kaum eine Alternative dazu gab.

Der jetzige und der künftige Parlamentspräsident werden jedenfalls einem Haus vorstehen, in dem immer wieder EU-Kritik zu hören sein wird. Was etwa die französischen und britischen Nationalisten und Populisten um Marine Le Pen sowie Nigel Farage von gemeinschaftlichen Symbolen wie der "Ode an die Freude" halten, zeigten sie bei der feierlichen Eröffnung der Sitzung. Als das Orchester die Hymne spielte, blieben die einen sitzen. Die anderen standen zwar wie der Rest der Abgeordneten auf. Doch drehten sie den Musikern den Rücken zu.