Die EU-Abgeordneten haben Mühe, ihren Kandidaten für die EU-Kommission zu verteidigen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Brüssel. Aus seiner Ablehnung hat David Cameron nie ein Hehl gemacht. Dennoch erhöht der britische Premierminister immer mehr den Druck, um Jean-Claude Juncker als Präsident der EU-Kommission zu verhindern. Der Luxemburger Christdemokrat war der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), die als stimmenstärkste Partei aus den EU-Wahlen vor knapp drei Wochen hervorgegangen ist. Und damit ist er Bewerber für das Spitzenamt in der Kommission. Findet zumindest ein Großteil des EU-Abgeordnetenhauses. Nicht so Cameron.
"Juncker kandidierte nirgendwo und wurde von niemandem gewählt", schreibt der Brite in einem Gastbeitrag für mehrere europäische Zeitungen, in Österreich die "Wiener Zeitung". In dem Votum bestimmten die EU-Bürger lediglich die Zusammensetzung des Parlaments; den künftigen Kommissionspräsidenten hingegen würden die Staaten vorschlagen. Dabei sollen sie zwar das Ergebnis der Wahlen berücksichtigen, doch alles darüber Hinausgehende wäre rechtlich nicht gedeckt. Mit dieser Meinung ist Cameron unter den Staats- und Regierungschefs, die sich bisher die Besetzung der Brüsseler Behörde untereinander ausgemacht haben, zwar nicht allein. Dennoch löste sein Kommentar einmal mehr heftige Reaktionen aus. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sich selbst skeptisch gegenüber einer automatischen Verknüpfung zwischen Parlamentswahl und Kommissionsbestellung gezeigt hatte, widersprach ihrem Amtskollegen. Mit dem Vorschlag, Juncker zum zweifachen Kandidaten zu machen, hätte die EVP und sie selbst - Merkels CDU ist Teil der Fraktion - "sicher nicht gegen EU-Verträge verstoßen", ließ sie über ihren Regierungssprecher ausrichten.
Rückhalt für Juncker - noch
Zuvor hatte sich ebenfalls der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble optimistisch gezeigt, dass der Luxemburger Ex-Premier die Leitung der EU-Behörde übernimmt. "Wann immer Parlament und Regierung streiten, gewinnt das Parlament", erklärte er der "Frankfurter Rundschau".
Allerdings weiß gerade Schäuble, dass seine Aussage keineswegs uneingeschränkte Gültigkeit besitzt. Im Tauziehen zwischen den EU-Institutionen ist die Versammlung der Mitgliedstaaten noch immer das mächtigere Gremium. Dieses muss allen Gesetzesvorschlägen zustimmen, auch wenn die Volksvertretung sich in den vergangenen Jahren einiges an Mitspracherecht zusätzlich erkämpft hat.
So sind denn auch im Abgeordnetenhaus mittlerweile Stimmen zu hören, die Zweifel am Erfolg Junckers äußern - das aber meist eher hinter vorgehaltener Hand. In den Aussagen mancher Mandatare klingt Hilflosigkeit gegenüber "der Packelei" der Staaten durch. Die Parlamentarier wissen zwar, dass sie die Möglichkeit hätten, die Kommission samt ihrem Präsidenten abzulehnen. Doch ob sie sich auf eine derartige Machtprobe einlassen würden, ist fraglich.
Offiziell kann Juncker allerdings noch mit der Unterstützung der meisten Fraktionen rechnen. In erster Linie steht die EVP hinter ihm - und das geschlossen, wie der neu gewählte Fraktionsvorsitzende Manfred Weber betont. Noch dazu gebe es im EU-Parlament keine andere Mehrheit als die für Juncker, der gerade einer "Schmutzkampagne" ausgesetzt sei. Vor Journalisten zeigte sich Weber unbeeindruckt von der britischen Ablehnung: Großbritannien sei ein Land unter 28 Mitgliedern, und es könne nicht allen anderen den Weg diktieren. Trotzdem warnte er die Staaten vor einer institutionellen Krise.
Konsultation mit Fraktionen
Diese wolle auch EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy vermeiden, meint der CSU-Abgeordnete. Der Belgier, dessen Posten in den kommenden Wochen auch neu zu besetzen ist, hat von den Ländern das Mandat erhalten, mit den Gruppierungen im Parlament Gespräche zu führen. Vor wenigen Tagen traf er mit den Vorsitzenden der EVP, der Sozialdemokraten, der Liberalen, der Konservativen und Reformisten, der Grünen sowie der Linken zu Konsultationen zusammen. Auch danach bekräftigte Hannes Swoboda, der scheidende Fraktionschef der zweitgrößten Gruppierung, der Sozialdemokraten, den Rückhalt für Juncker. Dieser sei durch das Wahlergebnis legitimiert, als Erster zu versuchen, eine Mehrheit im Parlament zu bilden.
Doch ist hinter den Kulissen immer mehr von "inhaltlichen Vorschlägen" zu hören, die den Parteien nahe sein müssen. Das nährt Spekulationen, dass auch ein alternativer Kandidat mit den entsprechenden Angeboten das Wohlwollen mancher Abgeordneten gewinnen könnte.