![Eine Illustration eines Sanitäters in einer Kriegslandschaft.](https://media.wienerzeitung.at/f/216981/2500x1875/b4d03a9c3c/wz_podcast_arzt_storer.jpg/m/384x288/filters:quality(50))
Warum sich die italienischen Parteien nicht auf eine gemeinsame Regierung einigen wollen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Rom. Sergio Mattarella wirkte wie ein ernster Großvater, dem die Enkel ein bisschen zu lange auf der Nase herumgetanzt sind. Würdevoll, aber doch auch staatsmännisch bestimmt, trat der italienische Staatspräsident im Quirinalspalast vor die Presse. Der Sizilianer mit der Silbermähne erklärte mit deutlichen Worten, dass seine Geduld zwei Monate nach der Parlamentswahl aufgezehrt sei. Den seit den Wahlen veranstalten die imaginären Enkel, also die politischen Parteien und ihre Protagonisten in Rom, ein anarchisches Ringelreihen, das einen paradoxen Effekt hat.
Die Bildung einer Regierung ist weiterhin nicht in Sicht. Das egozentrische Verhalten der Parteien bestätigt die Italiener in ihrer inzwischen abgrundtiefen Abneigung gegen alles Politische. Wenn aber weiterhin nichts passiert, kann es gefährlich werden. Das Schreckensszenario, das angesichts der italienischen Schuldenlast von rund 2300 Milliarden Euro immer im Hintergrund mitklingt, könnte bei fortgesetzter Hängepartie Wirklichkeit werden: Finanzspekulation, Schuldenkrise, Staatsbankrott.
Neutrale Aufsicht als Drohung
So weit ist es noch lange nicht, aber Großvater Mattarella hat nun pädagogische Maßnahmen ergriffen. Italien benötigt einen Erziehungsberechtigten, also eine Regierung. Diese wird in den nächsten Tagen vom Staatspräsidenten ernannt. Dann haben die Enkel, also die Parteien die Wahl: Entweder sie unterstützen per Vertrauensabstimmung die als "neutral" angekündigte Exekutive, die bis Ende des Jahres im Amt bleiben soll, falls sich bis dahin kein neues Regierungsbündnis findet. Anschließend käme es zu Neuwahlen im nächsten Frühjahr.
Oder sie lassen die neue Regierung durchfallen, es käme vielleicht schon im Sommer zu Neuwahlen. In diesem Fall müssten die Enkel dann aber selbst für die Konsequenzen ihrer Entscheidung geradestehen.
Im Juni werden in Brüssel wichtige Entscheidungen getroffen, die insbesondere Italien betreffen, einen der größten Nettozahler der Union. Es geht unter anderem um den EU-Haushalt für die kommenden Jahre und die Flüchtlingsfrage. Will das regierungslose Italien weiter Wahlkampf führen, der kaum noch jemand interessiert und unbeteiligt zugucken, wie die Zukunft von anderen gestaltet wird? Bis Jahresende muss zudem der Staatshaushalt für 2019 abgesegnet sein. Eine bereits vor Jahren vorprogrammierte Mehrwertsteuererhöhung droht. Wird nicht rechtzeitig ein entsprechendes Haushaltspaket geschnürt, kann es sein, dass die internationalen Ratingagenturen den Daumen über Rom senken. Das Schreckensszenario würde dann Wirklichkeit. Die italienische Politik muss erwachsen werden, aber Erwachsenwerden ist bekanntlich oft leichter gesagt als getan.
Fünf Sterne und Lega dagegen
Der Sinn von Mattarellas Schachzug ist, die politischen Protagonisten nun zur Vernunft zu bringen. Die Aussichten darauf sind angesichts der verhärteten Positionen und persönlichen Ambitionen der Beteiligten gering. Der Sekretär der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, aber auch der Chef der systemkritischen Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, setzen auf sofortige Neuwahlen und sind gegen eine Regierung auf Zeit. Dabei ist der Eigensinn der Enkel gar nicht so unverständlich. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die knapp 32 Prozent der Stimmen bei der Wahl erreichte und am ehesten als systemkritisch und linkspopulistisch beschrieben werden kann, lebt von ihrem Bild als radikaler Alternative zum Politikbetrieb der letzten Dekaden. Ein Bündnis mit der Lega scheiterte deshalb, weil sich Lega-Chef Salvini nicht von seinem Verbündeten Silvio Berlusconi trennen will. Der Ex-Premier ist allerdings nicht nur zwielichtig, sondern rechtskräftig als Steuerbetrüger verurteilt und deshalb den Fünf-Sterne-Wählern nicht vermittelbar.
Berlusconi selbst, dessen Partei Forza Italia immerhin noch 14 Prozent der Stimmen errang, ist vor allem wichtig, noch irgendwie eine Rolle in der Politik zu spielen und überfällige Maßnahmen zu verhindern, etwa ein Gesetz, das Interessenkonflikte regelt und Monopole auf dem Fernsehmarkt zerschlägt. 25 Jahre lang hatte der 81-Jährige damit Erfolg, mit Zutun der auf dem absteigenden Ast befindlichen Sozialdemokraten. Bei denen hält Ex-Parteichef Matteo Renzi immer noch die Fäden in der Hand und legte sein Veto gegen Bündnisse mit Salvini oder Di Maio ein. So kam es zum Stillstand, den der tapfere Staatspräsident nun zu durchbrechen versucht. Eine letzte Pointe hält die institutionelle Krise in Italien noch bereit. Fällt die vom Staatspräsidenten eingesetzte "neutrale" Regierung im Parlament durch, könnte es schon im Sommer zu Neuwahlen kommen. Ob sich aus der Abstimmung günstigere Bedingungen für eine Regierungsbildung ergeben, ist nicht absehbar. Noch nie wählten die Italiener im Sommer, denn da geht das Land kollektiv in die Naherholung. Wie viele Menschen dann noch die Notwendigkeit erkennen, den widerborstigen Enkeln eine zweite Chance zu geben, steht in den Sternen.