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Parteien, Bewegungen, Listen

Von Isolde Charim

Gastkommentare
Isolde Charim ist Philosophin und Publizistin und arbeitet als wissenschaftliche Kuratorin am Kreisky Forum in Wien. Foto: Daniel Novotny

Von der Ehe zur Lebensabschnittspartnerschaft.


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Aus Frankreich hat uns nun also der Dernier cri des Politischen erreicht: neue Bewegung statt alter Partei. Und wie überall so ist auch hier die Kopie schlechter als das Original. Deshalb haben wir jetzt hier nur eine "Liste" statt einer Bewegung - noch dazu die Liste einer Partei.

Warum aber wollen die Leute keine Großparteien mehr? Und was versprechen Bewegungen? Der Tenor lautet, Volksparteien seien "verkrustet" - also starre Abläufe, fixe Hierarchien. Für den Einzelnen bedeutet dies Unterordnung, Anpassung. Das war einmal ein Vorteil, diese erzieherische, assimilierende Funktion der Massenparteien. So etwas erzeugt geschlossene Gruppierungen. Auch das war einmal ein Vorteil - der Vorteil der Gesinnungs- und Solidargemeinschaft. Heute aber überwuchert der Apparat alles: Er saugt die Menschen aus, ihre Ideen, ihre Energien. Das ist die Wahrnehmung. Eine vampiristische Institution.

Von daher rührt die Attraktion von politischen Bewegungen - selbst in ihrer Listenform. Wobei politische Bewegungen sich auf dem freien Markt der Demokratie behaupten müssen - finanziell und organisatorisch. Im Unterschied zu staatlich subventionierten Parteien. Nur Hybridformen wie Listen, die Parteien kapern, entgehen dem.

Für all diese Formen aber, ob Bewegung oder Liste, gilt: Sie verhalten sich zu Parteien wie die Ehe zu Lebensabschnittspartnerschaften. In diesem Sinne sind sie modern. Statt lebenslanger Bindung hat man ein Verhältnis, das sich zeitlich begrenzt weiß. Das dient nicht nur volatilen Wechselwählern, sondern ist auch ein Angebot auf Funktionärsebene.

Diese viel zitierte Öffnung bedeutet, den Einzelnen zu befördern, statt den Apparat zu bedienen. Allerdings nur ausgewählte, auserwählte Einzelne. Denn die Öffnung bedeutet - gerade im Fall der Liste Kurz - die Einführung des Starprinzips in die ehemalige Massenorganisation. Das betrifft nicht nur den Mann, der an der Spitze steht. Denn auch die Listenplätze sollen dabei mittels Vorzugsstimmen und Beliebtheitswerten zu einer Art Funktionärsranking werden.

Darüber hinaus bedeutet die sogenannte Öffnung der Partei auch Nichtpartei-Mitglieder einzuladen. Im Unterschied zu einer Partizipation von unten ist diese also als eine Partizipationsform von oben konzipiert. Der eingeladene Experte ist der neue Lebensabschnittspartner. Als solcher wird dieser von einer Illusion getragen, von der Illusion eines neutralen Sachverstands. Als gäbe es ein nicht-parteiisches Wissen, eine rein objektive Kompetenz, für welche man die Übereinstimmung im Bereich der Werte, anders als bei Parteimitgliedern, eben reduzieren und eine lockere Bindung eingehen kann.

Macron hält diese Offenheit tatsächlich durch, wie die Zusammensetzung seines Kabinetts zeigt. Da ist "von bis" versammelt. Selbst Doppelparteimitgliedschaften sind erlaubt. Die Kurze-Liste hingegen hat solch eine Offenheit schon mit ihrem Auftreten verabschiedet. Die Art ihres Antretens hat die bestehende Koalition nicht nur beendet. Sie hat verbrannte Erde erzeugt. Auf der blüht keine Große Koalition mehr. Ihre Öffnung ist also nur die Form, die sie ihrer vehementen Ablehnung der SPÖ gibt. Eine ziemliche selektive Öffnung.