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Inmitten einer Versorgungskrise versucht der britische Labour-Chef Keir Starmer, seine Partei aufzurütteln.
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Der Druck auf Keir Starmer, den Vorsitzenden der britischen Labour Party, ist groß. Obwohl die regierenden Torries unter Premierminister Boris Johnson für ihr Corona-Krisenmanagement massiv kritisiert wurden, hinkt die Labour-Partei in Umfragen deutlich hinterher. In mehreren Kommunalwahlen verloren sie bisherige Hochburgen an die Konservativen. Die letzten vier Unterhauswahlen hat die Labour-Partei verloren.
Mit seiner Rede am Mittwochmittag in der südenglischen Küstenstadt Brighton bot sich Parteichef Starmer nun die Möglichkeit, die geschwächte Partei wieder zu stärken. Es war seine erste Rede in persona, seitdem er im April 2020 zum Vorsitzenden gewählt wurde. Doch viele bezweifelten, dass Starmer mit seiner Rede ein Befreiungsschlag gelingen würde. Denn bis jetzt scheint der Vorsitzende seine Partei nicht in den Griff zu bekommen. Gestartet war die fünftägige Konferenz mit einem internen Streit zwischen der Parteiführung und dem linken Flügel der Partei, dem auch Unterstützer von Ex-Parteichef Jeremy Corbyn angehören.
Starmer hatte geplant, das innerparteiliche Wahlsystem zu reformieren. Unter dem Druck des linken Flügels und Gewerkschaften konnte der Parteichef jedoch nur einen mageren Kompromiss erzielen. Erniedrigend für den Parteichef und eine schlechte Ausgangslage, um seine Partei geschlossen hinter sich zu vereinen.
Große Fragen
In seiner Rede, die immer wieder von kritischen Rufen unterbrochen wurde, sprach Starmer über die großen Baustellen des Landes, darunter Kriminalität, Bildung und vor allem das britische Gesundheitssystem. Das Coronavirus habe enorme Schwächen aufgezeigt, die die Partei künftig ausbessern will. Zudem warnte er vor dem Klimawandel als existenzielle Bedrohung für die Menschheit. "Die Zeit ist knapp und wir haben eine Pflicht, zu handeln", sagte Starmer in seiner Rede. Die Klimakrise biete die Chance, die Wirtschaft auf einen ökologischen Pfad zu bringen. Großbritannien stehe großen Fragen gegenüber: Wie man aus der größten Pandemie in einem Jahrhundert hervortrete, wie man sich in einer Welt des Wettbewerbs durchsetze und die Beziehung zu Europa. Bei all diesen Fragen brauche das Land einen Anführer mit klaren Werten.
Chaos an den Tankstellen
Dabei äußerte er heftige Kritik an der konservativen Regierung unter Premierminister Boris Johnson. Sie sei inkompetent und habe nichts aus den Krisen gelernt. Johnson bezeichnete er als "Showman", der seit seinen Versprechungen, den Brexit durchzuziehen, nichts mehr zu zeigen habe. Starmer kritisierte besonders den Umgang Johnsons mit der Corona-Pandemie und der Versorgungskrise, in der das Land derzeit steckt.
Seit Tagen kommt es an britischen Tankstellen zu Panikkäufen, Rangeleien und langen Schlangen. Mittlerweile mangelt es bis zu 90 Prozent der Tankstellen an Sprit, weil es an zehntausenden Lastwagenfahrern fehlt, die diesen liefern. Supermärkte können ihre Regale nicht füllen, Spielzeughersteller fürchten um das Weihnachtsgeschäft und einigen Pub-Ketten geht das Bier aus.
Schätzungen zufolge fehlen landesweit bis zu 100.000 Lkw-Fahrer. Viele waren nach dem Brexit auf den europäischen Kontinent zurückgekehrt. Zudem verzögerte die Pandemie die Ausbildung neuer Fahrer.
Nur mit großem Widerstreben ließ sich die konservative Regierung am Wochenende darauf ein, bis zu 5.000 Visa für ausländische Fahrer bereitzustellen. Diese sind zeitlich jedoch klar bis Weihnachten befristet. Ob das neue Fahrer anlockt, ist fraglich. Im Notfall soll das Militär einspringen und den Sprit zu den Tankstellen transportieren. Doch Tanklaster zu fahren ist die eine Sache. Diese zu befüllen ist eine Tätigkeit, die von Fachpersonal erledigt werden muss. Und gerade das fehlt gerade.