Zum Hauptinhalt springen

Parteitag mit Konturen: Merkel gibt ihrer CDU, was diese immer wollte

Von Markus Kauffmann

Analysen

Nordrhein-Westfalen verloren, drei von vier Stellvertretern abgesprungen, die Partei im Stimmungstief, Castor- und Stuttgart 21-Demonstrationen, die Hochburg Baden-Württemberg in Gefahr. Das ist das Szenario, in dem sich die Christlich Demokratische Union Deutschlands bei ihrem 23. Bundesparteitag in Karlsruhe nach einem Jahr schwarz-gelber Bundesregierung befindet.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Nicht gerade der ideale Ausgangspunkt für die Neuwahl der Parteiführung, deren Basis zutiefst verunsichert ist. Merkel ging mit den Makeln mangelnder Führungskraft, verschwommenen Profils und Visionslosigkeit nach Karlsruhe. Insbesondere der wertkonservative Kern der Christdemokraten kritisierte die Vernachlässigung der Stammwählerschaft.

Politische Auguren weissagten daher, dass die Neuwahl der Vorsitzender und ihrer Stellvertreter der Basis als Ventil für ihren Unmut dienen werde. Zwei Dinge jedoch durchkreuzten deren Prophetien: Zum einen war der Parteitag durch zahllose Regionalkonferenzen bestens vorbereitet; zum anderen hat die Parteivorsitzende Angela Merkel alle überrascht.

Mit unterschiedlichen Resultaten, aber völlig glatt wurden die Stellvertreter "durchgewunken" - Norbert Röttgen (NRW) und Volker Bouffier (Hessen) für den mehr werteorientierten Flügel, Ursula von der Leyen (Soziales) und Annette Schavan (Bildung) für die Einbindung des Kabinetts.

Schon rhetorisch war Merkel in ihrer großen Rede überraschend spritzig, pointiert und munter. Sie hat stimmlich moduliert wie noch nie zuvor. Vor allem aber inhaltlich hat sie die rund 1000 Delegierten hochgerissen. Zur Einwanderung erklärte sie: Wer Deutsch lernt und unsere Gesetze achte, sei willkommen. Es gebe kein Zuviel an Islam, sondern ein Zuwenig an Christentum in Deutschland, rief sie in den Saal, der darauf zu jubeln begann. Beim heiklen Thema Wehrpflicht, bisher immer Markenkern der Union, erntete ihre Festlegung auf deren Aussetzung sogar Applaus. Festgelegt hat sie sich auch in Sachen Stuttgart 21, zu dem sie entschlossen steht, in Sachen Präimplantations-Diagnostik, die sie klar ablehnt.

Damit nahm sie der Kritik den Wind aus den Segeln, die ihr vorwarf, sich niemals festzulegen und konturlos die Dinge treiben zu lassen. Ihr gelingt aber noch mehr: Sie gibt der Basis das Gefühl, dass sie mit Selbstbewusstsein auch wieder Wahlen gewinnen könne. Das wird auch notwendig sein, denn im kommenden Jahr wählen Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Doch alle blicken auf Baden-Württemberg, wo die CDU Gefahr läuft, nach 50 Jahren den Ministerpräsidenten zu verlieren.

Ein Delegierter fasste den ersten Tag der Parteitages so zusammen: "Endlich haben wir die Merkel, die wir schon immer wollten."