Rendi-Wagner stellt in einer Grundsatzrede am Sonntag den Kanzleranspruch. In der Partei rumort es aber.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 2 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Da war es schon wieder, das alte Problem der SPÖ. Am Sonntagvormittag hält Parteichefin Pamela Rendi-Wagner eine Grundsatzrede in der Wiener Aula der Wissenschaften. Um die aktuelle politische Situation in Österreich soll es gehen. Und um die in Europa. "Ein Land. Eine gemeinsame Zukunft", lautet das Motto. Angekündigt haben sich alle fünf noch lebenden roten Altkanzler: Franz Vranitzky, Alfred Gusenbauer, Werner Faymann, Christian Kern - und sogar der seit seinem Abtritt kamerascheue Viktor Klima. Noch nie sind alle fünf gemeinsam aufgetreten. In der Öffentlichkeit ergibt das eigentlich eine starke Message: Wir, die einstigen Kanzler der SPÖ, stehen geschlossen hinter der Parteichefin, die ihrerseits den Kanzleranspruch stellt. Aber dann ist schon wieder was passiert.
So richtig rund lief das Werkl für die heimische Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren ja selten. Schon gar nicht über längere Zeit konstant. Und es wäre wohl nicht die SPÖ dieser Tage, würde nicht zielsicher vor dem sorgfältig geplanten Statement-Event noch etwas passieren, das für internes Brodeln sorgt.
"Bin wahrscheinlich nicht die Einzige, die gerne von der SPÖ-Vorsitzenden eine Begründung für die seltsame Positionierung zum Auftritt Selenskys (sic!) im Nationalrat hören möchte", twitterte die frühere rote Justizministerin und EU-Abgeordnete Maria Berger am Dienstag. Der Umgang der Partei mit dem Thema sei eine "unerträgliche und ignorante Position", ließ der renommierte Diplomat und SPÖ-Mann Wolfgang Petritsch am Donnerstag via "Kurier" ausrichten. Beide nicht eben Nobodys im roten Universum.
Und wenig überraschend äußerte sich auch einer, von dem man es wohl erwartet hatte, erwarten musste. "Das war ein außenpolitischer Fehler, der hätte nicht passieren dürfen", sagte Burgendlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der sich die Gelegenheit zu einem weiteren gezielten Nadelstich gegen seine parteiinterne Rivalin nicht nehmen ließ. Rendi-Wagner ist nicht nur Parteichefin der SPÖ. Sie ist auch außenpolitische Sprecherin. "Wenn einem durch einen Fehlpass der Ball zufällt, dann schießt man natürlich auch aufs Tor", sagt jemand aus Doskozils Umfeld zur "Wiener Zeitung".
"Entscheiden, mit welchem Team sie arbeiten will"
Was war passiert? Die Neos hatten Anfang der Woche vorgeschlagen, den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vor dem österreichischen Parlament reden zu lassen. Eine symbolische Geste, mehr nicht. Aber eben eine Geste. Die für ihre engen Russland-Verflechtungen bekannte FPÖ sprach sich wenig überraschend dagegen aus.
Ebenfalls dagegen - oder zumindest nicht direkt dafür, so genau erfuhr man das nicht - war eine Partei, von der man das vielleicht weniger erwartet hätte: die SPÖ. Sollte Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP), der das "im Endeffekt entscheidet", eine Einladung aussprechen, werde die SPÖ "nicht dagegen sein", legte sich der stellvertretende Klubobmann Jörg Leichtfried schließlich fest - oder so etwas in der Art. Tatsächlich könnte Sobotka Selenskyj laut Geschäftsordnung des Nationalrats allerdings nur dann einladen, wenn es dafür Einstimmigkeit unter den Parlamentsfraktionen gäbe. Wofür es wiederum die klare Zustimmung der SPÖ bräuchte.
Unangenehmer als für Leichtfried ist das Thema aber für Rendi-Wagner. Weil sie eben auch außenpolitische Sprecherin ist - auch wenn das außerhalb der Politik- und Medienblasen kaum jemand weiß. In der Partei selbst sorgt der kleine "Vorfall" aber zuverlässig für Gesprächsstoff. Wer sich dieser Tage unter Genossen umhört, merkt das schnell. "Da haben wir uns natürlich ein super Thema aufgemacht", sagt einer mit Kenntnis der Materie und sarkastischem Unterton zur "Wiener Zeitung".
Für die Parteispitze ist die Sache ein wenig unglücklich gelaufen. Aber auch hausgemacht. Und vielleicht symptomatisch für manches, was im Führungszirkel nicht rund läuft. "Das war ein schweres handwerkliches Versagen", sagt ein roter Funktionär. Man hätte schon frühzeitig erkennen müssen, dass man "mit dieser Nicht-Positionierung nur verlieren kann" - und sofort eine klare Position ausarbeiten. Andere in der Partei weisen dagegen darauf hin, dass das symbolische Offenhalten der Türe zu Russland bewusst passiert sei - vorangetrieben von der immer noch einflussreichen russlandfreundlichen Fraktion der SPÖ. "Die Parteichefin wird sich eben auch einmal entscheiden müssen, mit welchem Team sie arbeiten will", sagt ein Roter.
"Nicht Mattersburg mit dem Rest Österreichs verwechseln"
Verblüffend bleibt es jedenfalls: Die ÖVP stolpert von einer Affäre in die nächste. Die Grünen müssen den dritten Gesundheitsminister binnen zwei Jahren installieren. Und das Pandemiemanagement der türkis-grünen Bundesregierung wollen sich auch die Wohlwollendsten nicht mehr als gelungen schönreden. Die SPÖ liegt in Umfragen stabil auf Platz eins. Eine rot-grün-pinke Mehrheit ist erstmals nicht völlig außer Reichweite. Und trotzdem: Statt zielgerichteter Geschlossenheit in den roten Reihen - immer wieder Grabenkämpfe.
Einer der zentralen Gründe dafür: Nach wie vor trauen viele Genossen ihrer Bundesparteichefin nicht zu, den Kanzlersessel verlässlich zurückzuerobern. Gleichzeitig sitzt im Eisenstädter Landhaus einer, der glaubt, dass er das besser kann. Längst ist es ein offenes Geheimnis, dass im Burgenland an Plänen geschmiedet wird, um Doskozil auf Rendi-Wagners Platz zu setzen. Im Falle von Neuwahlen werde man die Parteichefin herausfordern, ist von dortigen Strategen inzwischen sehr direkt zu hören. Und in Eisenstadt gibt man sich sicher, dass Doskozil bei einer Kampfabstimmung die Nase vorn hätte.
Außerhalb des Burgenlands sehen das aber viele völlig anders. Die Erzählung von der "sicheren Mehrheit" Doskozils sei nicht mehr als ein bewusst eingesetzter Spin aus dessen Lager, sagt jemand aus der Gewerkschaft, die neben der Wiener Landesorganisation um Bürgermeister Michael Ludwig und der Zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures als wichtigste Stütze der Parteichefin gilt. Und auch ein anderer Roter, der die Parteistrukturen so lange wie detailliert kennt, meint: "Man soll in seiner provinziellen Fehleinschätzung nicht Mattersburg mit dem Rest von Österreich verwechseln."
Die Zeit für eine Entscheidung an der Spitze ist noch nicht gekommen. Den Rückenwind einer überzeugenden Grundsatzrede könnte Rendi-Wagner aber jetzt schon gut gebrauchen. Denn bis auf Weiteres bleibt die Großwetterlage für die SPÖ günstig. Auch die Strategen in Eisenstadt werden das für ihr eigenes "Projekt Ballhausplatz" zu nutzen wissen.