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Eine polnisch-spanische Achse nimmt Gestalt an. Die beiden Länder werden entschieden für die Einhaltung des Nizza-Vertrages kämpfen, kündigten die Ministerpräsidenten Leszek Miller und Jose Maria Aznar in Madrid an. Beide sprachen sich auch gegen die Entscheidung der EU-Finanzminister aus, die Defizit-Strafverfahren gegen Deutschland und Frankreich auszusetzen. Jüngste Schelte von EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen sorgten in Polen in den letzten Tagen für zusätzlichen Diskussionsstoff.
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Einen Partner am anderen Ende Europas hat sich Polen gesucht - und gefunden. Dem Treffen des spanischen Ministerpräsidenten Jose Maria Aznar mit Premier Leszek Miller sollen weitere folgen. Einmal jährlich soll es nun Konsultationen geben. Schon bisher sprachen sich beide Länder vehement gegen eine Änderung des in Nizza festgelegten Stimmsystems aus. Und auch in der Beurteilung der Aussetzung der Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich sind sie sich einig: Spanien hat dagegen gestimmt, Polen - mit einem prognostizierten Budgetdefizit von über 5 Prozent - unterstützt diese Haltung.
Enttäuschter Verheugen
Kritik an der Entscheidung zugunsten von Berlin und Paris äußerte etwa die polnische Tageszeitung "Rzeczpospolita". Deutschland und Frankreich "erzwingen einen Bruch wesentlicher Regeln des Gemeinschaftsrechts, während Polen und Spanien - bis vor kurzem noch Diktaturen und außerhalb des vereinten Europas - eine Verteidigung der grundlegenden Vorschriften gegenwärtiger Verträge fordern".
Dass Warschau seine Position unmissverständlich darlegt, löst in etlichen EU-Staaten Befremden aus. Das Pochen auf die Einhaltung des Nizza-Vertrages kritisierte auch einer, der Polen sonst in Schutz nimmt: EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen. Er zeigte sich enttäuscht über die Haltung Warschaus in der EU-Reformdebatte. "Wenn das die Art ist, wie Polen seine Mitgliedschaft in der EU beginnt, dann bereue ich meine Bemühungen um Polen", erklärte Verheugen Anfang der Woche bei einer Sitzung in Brüssel. Er reagierte damit auf die Aussage des polnischen Abgeordneten Janusz Lewandowski, der der EU "Ungleichbehandlung" von neuen und alten Mitgliedsstaaten hinsichtlich der Maastricht-Kriterien vorgeworfen hatte.
Anders als in Brüssel stößt die Einstellung Warschaus in der polnischen Öffentlichkeit großteils auf Sympathie. Diese hat das Kabinett Millers auch nötig. Denn innenpolitisch sieht sich die Minderheitsregierung großem Druck ausgesetzt, ihre Popularität in der Bevölkerung war noch nie so niedrig wie derzeit. Die Gewerkschaften haben den November zum Monat der Proteste erkoren; KrankenpflegerInnen demonstrierten ebenso wie TaxifahrerInnen oder PensionistInnen. Denn die Pläne von Wirtschaftsminister Jerzy Hausner zur Sanierung des Staatshaushaltes sehen auch Kürzungen in Sozialbereichen vor.
Doch die Argumente der Regierung, Polen müsse für seine Rechte in der EU eintreten, bieten kaum Konfliktstoff. Und die Zahl der EU-SkeptikerInnen ist nicht unbedingt geringer geworden nach der Veröffentlichung des jüngsten EU-Fortschrittberichtes, in dem auch Polen zur Eile bei der Umsetzung der EU-Richtlinien gemahnt wird. "In der Bevölkerung sind etliche überzeugt, dass der Bericht als Reaktion auf die Position Polens zu deuten ist: Er sei so negativ ausgefallen, weil Brüssel Warschau für dessen hartes Vorgehen in der Debatte um die EU-Verfassung bestrafen wolle", meint Robert Smolen, Sprecher des Parlamentsklubs der regierenden SLD (Bündnis der Linksdemokraten). Das werde die Regierung in ihrem Standpunkt bestärken, glaubt er - und wiederholt eines der Argumente für das vereinbarte Stimmsystem: "Der Vertrag von Nizza ist noch nicht einmal umgesetzt worden. Wir sollten seine Tauglichkeit erst einmal testen, bevor über Änderungen nachgedacht wird."
Kampfbereite Opposition
Ähnlich sieht dies die oppositionelle Platforma Obywatelska (PO, Bürgerplattform), deren Klubvorsitzender Jan Rokita den Schlachtruf "Nizza oder Tod" in die Debatte geworfen hatte. "Wir können uns noch nicht wirtschaftlich mit anderen EU-Staaten messen, aber politisch müssen wir es versuchen", sagt PO-Sprecher Bogdan Klich. "Wir glauben auch, dass der Vertrag von Nizza mehr dem Solidaritätsprinzip entspricht als eine andere Regelung."
Die scheinbar kompromisslose Haltung Polens verteidigt auch Janusz Onyszkiewicz vom nichtstaatlichen Zentrum für Internationale Beziehungen in Warschau. "Polen war nie und wird nie ein passiver Staat sein, der zu allem ja sagt", erklärt er: "Wenn Polen zu viel Amerika-Sympathie vorgeworfen wird, dann wird vergessen, wie europafreundlich es ist. Wir wollen sehr wohl ein gemeinsames Europa bauen." Auch Onyszkiewicz rückt das Solidaritätsprinzip in den Blickpunkt: Der Konventsvorschlag würde zwar Polen - ebenso wie Deutschland - mehr Mitspracherecht als der Nizza-Vertrag geben. Doch kleinere Staaten würden dabei schlechter aussteigen.
Geteilte Meinung
Der heftig diskutierte Verfassungstext soll garantieren, dass die Europäische Union auch in ihrer erweiterten Form nach innen und nach außen handlungsfähig bleibt. Doch die Stimmgewichte sind noch völlig umstritten. Zu diesen Debatten kommt nun die Vertrauenskrise rund um den Stabilitätspakt. All dies zeigt, wie schwer die Interessenskonflikte zwischen künftig 25 Mitgliedsstaaten wiegen werden.