Die Befreiung der Pädagogik aus der autoritären Schiene war an sich eine gute und notwendige gesellschaftliche Entwicklung. Kinder brauchen Freiheit, sie wollen in ihren Gefühlen und Bedürfnissen und in ihrer Wesensart an- und ernst genommen werden. Die Möglichkeiten der Mitsprache stärkt ihr Selbstwert- und Verantwortungsgefühl. Das darf jedoch nicht mit Gleichberechtigung und Rollentausch verwechselt werden. Verabschieden sich Eltern in falsch verstandener Partnerschaftlichkeit von ihrer Führungsrolle, entsteht das allgemeine Chaos, das wir heutzutage vielfach antreffen: Eltern und Pädagogen sind überfordert, Kinder verlieren Halt und Orientierung, wodurch sie in ihrer Entwicklung gehemmt sind.
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Beginnen Kinder, Erwachsene zu steuern und nicht umgekehrt, bleiben sie in einer egozentrisch-narzistischen Phase stecken und können sich nur schwer in ein soziales Gefüge einordnen und Konfliktfähigkeit entwickeln. Statt willensstark werden sie willkürlich und können wenig Frustrationstoleranz entwickeln, um gefestigte, einfühlsame, leistungsfähige und verantwortungsbewusste Erwachsene zu werden. Sie tendieren zum notorischen Verweigern, sind fordernd und schwer motivierbar.
Als junge Erwachsene sind sie erst recht frustriert, wenn sie merken, dass sie viele Chancen vertan haben und in unserer Hochleistungsgesellschaft nicht mithalten können. Viele landen im sozialen Abseits und sind besonders gefährdet durch jahrelange Arbeitslosigkeit, Alkohol, Drogen, Kriminalität, Prostitution oder psychiatrische Erkrankungen. Die Folgen für die gesamtgesellschaftliche Entwicklung sind heute noch gar nicht abschätzbar.
Der Slogan Kinder an die Macht war ein klarer Fehler. Erzieherische Autorität darf kein Freibrief für Unterdrückung und Machtmissbrauch sein. Sie darf aber auch nicht abgeschafft werden, sondern muss von verantwortungsbewussten, liebevollen Erwachsenen zum Wohl der jungen Generation ausgeübt werden.
Wenn Kinder ihre eigene Persönlichkeit entwickeln, trainieren sie ihr Durchsetzungsvermögen. Die Trotzphase führt automatisch zum Machtkampf. Dies ist Teil einer entwicklungspsychologischen Notwendigkeit und kein persönlicher Angriff auf die Eltern. Damit der Prozess zum Wohle aller gelingt, müssen die Eltern die Zügel in der Hand behalten, gewaltfrei, aber nicht machtlos agieren. Kinder müssen erfahren, dass man ihre Bedürfnisse ernst nimmt und dass sie Bitte, Danke und gute Argumente weiterbringen. Vor lauter Verständnis dürfen Eltern nicht permanent nachgeben. Erleben Kinder ihre Erzieher als schwach, können sie nicht zu ihnen aufschauen. Wer fühlt sich bei jemandem sicher und geborgen, der schwächer ist?
Kinder werden aggressiv, wenn sie selbst Gewalt erleben - oder wenn sie alles dürfen und ihnen unterbewusst die Autorität fehlt.
Maria Neuberger-Schmidt ist vierfache Mutter, Obfrau des
Vereins Elternwerkstatt und
verantwortlich für das Seminarkonzept ABC-Elternführerschein.